Filme gucken am Ende des Schuljahrs: Es klingelt ins Happyend
Es ist eine Art Tradition: in den letzten Tagen vor den Schulferien Filme im Unterricht zu schauen. Warum das oft sinnlos ist und was spannender sein könnte: ein Beispiel aus Niedersachsen.
Heute ist in Niedersachsen der letzte Schultag und bis zu diesem Tag haben wohl noch so einige Klassen im Unterricht Filme geguckt. Ist es ein Auslaufmodell oder nachhaltiger als gedacht? Nicht alle sind davon begeistert - weder auf Schüler- noch auf Lehrerinnenseite. Unsere Autorin Andrea Schwyzer kennt die Diskussionen vor den Sommerferien, wohnt sie doch mit einigen Lehrern unter einem Dach. Für NDR Kultur hat sie diese Gespräche eingefangen.
Zum Abschluss des Schuljahres keine Filme gucken!
Eigentlich ist die Diskussion gar keine - denn nicht nur für die Geschichtslehrerin Julia ist klar: "Nein, ich gucke keine Filme zum Abschluss des Schuljahres. Ich mache dann besondere Sachen".
Moment. Zum guten Unterricht kommen wir auch noch. Aber warum keine Filme? War das in den 80ern und 90ern nicht das Highlight vor den Ferien? Ja, war mal so. Heute sieht das anders aus. "Dieses Whiteboard hochzufahren und das iPad damit zu verbinden, zu gucken, dass der Sound geht und dann irgendetwas auszusuchen: Das hat überhaupt keine Atmosphäre", sagt Julia.
Filme gucken im Unterricht: "Das ist ein bisschen überflüssig"
Außerdem können die Kids heute immer und überall streamen. Wen flasht da noch ein Disneyklassiker, die Blödelstunde mit Mr. Bean oder ein Animationskassenschlager wie "Sing". Das sagen die Schülerinnen und Schüler in unserer Umfrage:
- So ein Klassiker wie "Ziemlich beste Freunde" haben wir dreimal in Französisch geguckt.
- Viele haben letztens im Englischunterricht dafür abgestimmt, eine "Netflix"-Serie oder auf "Amazon" etwas zu gucken. Dann haben wir den Klassiker "Sherlock Holmes" geguckt. Dann haben wir anderthalb Stunden lang geguckt, auf Englisch mit Untertitel. Oder im Kunstunterricht, haben wir Kunst fertig gestaltet und nebenbei lief eine Van-Gogh-Doku.
- Häufig sind die Filme so teilweise an den Unterrichtsinhalten ausgerichtet, aber irgendwie passt es dann doch nicht so richtig dazu. Und das ist dann ein bisschen überflüssig.
"Es ist eine Beschäftigungstherapie"
Die Schülerinnen des 12. Jahrgangs wissen es, die Lehrer wissen es auch: Ob Geschichte, Musik oder Deutsch: "Es ist eine Beschäftigungstherapie", meint der Lehrer Johannes. "Man will pädagogisch gucken, also mit einem pädagogischen Anspruch, dann kriegt man es nicht in die Zeit." Das sei utopisch.
"Man müsste vorher vorbereiten, indem man einen Fokus gibt und sagt, 'achtet mal auf dieses und jenes' - und dann dauert das. Das muss man hinterher nachbereiten, das dauert auch nochmal. Das heißt, man hat mehrere Doppelstunden für einen Film." Lehrerin Julia ergänzt: "So eine Doppelstunde sind 90 Minuten. Realistisch hat man davon 80 - mit Begrüßung, bis die Technik läuft und so weiter. Ein normaler Film dauert länger als 80 Minuten. Das heißt, es klingelt einfach ins Happy End."
Um das Problem mal direkt anzugehen: Es gibt ja Gründe, warum überhaupt erst übers Filmegucken nachgedacht wird. Beide Lehrende berichten, die Schulbücher würden etwa zwei Wochen vor den Ferien abgegeben: "Klassenweise werden die wegsortiert, um im nächsten Schuljahr wieder ausgegeben zu werden. Das heißt, die haben eben Teile ihres Arbeitsmaterials nicht mehr." Das müsse man bedenken. "Natürlich ist die Motivation völlig am Boden, weil die Noten eingetragen sind. Die Zeugniskonferenzen sind vorbei, die Fehltage sind eingetragen." Das wüssten die Schülerinnen und Schüler.
Viele Jugendliche fehlen in den letzten Schulwochen
Tatsächlich kommen in den letzten Schulwochen viele Jugendliche nicht mehr in den Unterricht. Ein Schulgemachtes Problem, sagen die Schüler und machen Vorschläge wie, "dass quasi der Notenschluss nicht mehr zwei Wochen vor Schulende liegt und dass man dann noch produktive Unterrichtsinhalte erarbeiten kann."
Es bleibt ein Dilemma. Am Ende des Schuljahres sind die Noten abgegeben, die Bücher weg, die Motivation sowieso, viele Schüler nicht mehr da - und überhaupt sind alle müde vom Schuljahr. Sie habe dafür Verständnis, erzählt Julia, "weil ich die Erschöpfung am Schuljahresende kenne. Es sind alle müde. Die Schülerinnen und Schüler sind auch müde." Dann sage man "wir gönnen uns so eine ruhige Stunde."
Ruhige, inhaltslose Stunden verleiten Eltern allerdings dazu, früher in den Urlaub zu fahren - ein paar Tage machen bei den Flugpreisen schnell einige Hundert Euro aus. "Ich glaube, dass wir das natürlich befördern, wenn es so wirkt, als wäre der Schulbesuch am Ende so eine Spaßveranstaltung."
Alternativen: Projekttage, Ausflüge, magische Physik-Experimente
Statt Filme wären also besser angebracht: Projekttage, Ausflüge, magische Physik-Experiment. Lehrer Johannes schlägt vor, man könne im Musikunterricht mehr Praxis abseits des Lehrplans machen. "Dass man also Dinge macht, die einfach vielleicht mal nur Bock machen können. Zum Beispiel Keyboards, Rumdaddeln."
Erlebnisse, die die Gemeinschaft fördern. Die bleiben den Schülerinnen heute viel eher, als unkuratierte Filmstunden: "In der Schule passieren viele aufregende Dinge. Die Schule ist nicht nur voller Lerninhalte, sondern auch vieler interaktiver Aktivitäten, zum Beispiel Ausflüge oder Klassenfahrten. Die bleiben einem natürlich eher im Gedächtnis, als Filme", erzählt eine Schülerin. Die Filme gingen "eher aus dem Gedächtnis raus, weil es eben viele andere prägende Momente gibt, die auch wichtiger fürs Leben sind."
Für diesen einen Moment, wo Jugendliche doch Filme fordern, hat die Geschichtslehrerin eine jahrelang erprobte Strategie: "Ich kündige meistens drei bis vier Wochen vor Ende des Schuljahres an, dass keine Filme geguckt werden. Dann komme ich schon rein und sage, 'ihr wisst ja, wir gucken keinen Film. Aber ich habe euch hier eine richtig schöne Rede unseres letzten Kaisers mitgebracht. Ja, ihr lacht jetzt, okay, aber das verfängt. Und wenn es nicht verfängt, habe ich es wenigstens versucht'."