80. Jahrestag: Zeitzeugen-Film schildert Luftangriffe auf Hamburg
Seit Jahren ist der Dokumetarfilmer Christian Grasse gegen das Vergessen des Grauens des Zweiten Weltkriegs unterwegs. Für seinen Film "Gedächtnis einer Stadt - Der Feuersturm auf Hamburg" hat er mit vielen Zeitzeugen gesprochen.
Noch ist der Film nicht fertig, doch zum 80. Jahrestag des Bombardements auf die Hansestadt hat der Hamburger Regisseur eine 45-minütige Kurzversion erstellt. Diese wird am 28. Juli um 19.30 Uhr im Hamburger Metropolis Kino gezeigt.
Herr Grasse, wie hat Ihre Arbeit zu dem aktuellen Projekt begonnen?
Christian Grasse: Ich habe vor ungefähr zwölf Jahren begonnen, in Kooperation mit dem Hamburger Schulmuseum ein Zeitzeugenarchiv aufzubauen. Dieses Archiv hat sich zur Zielsetzung genommen, die Zeit von der Weimarer Republik bis zur unmittelbaren Nachkriegszeit durch Zeitzeugenperspektiven abzubilden. Aus diesem Zeitzeugenarchiv hat sich dann das Thema Luftkrieg entkoppelt, weil jeder Zeitzeuge, egal zu welchem Themenbereich er gesprochen hat, immer auch eine Erinnerung an den Luftkrieg gehabt hat. Irgendwann entstand die Idee, daraus ein eigenes Projekt zu entwickeln.
Wie gehen Sie mit dem Material um, wenn Sie es auf, zum Beispiel wie für diese Woche, 45 Minuten verdichten? Wahrscheinlich soll der endgültige Film ein bisschen länger werden, oder?
Grasse: Die Konzeption ist, dass die verschiedenen Themenbereiche, die die "Operation Gomorrha" betreffen, einmal abgebildet werden. Das war die Idee beim Schnitt. Das Ganze läuft nur über die Zeitzeugen-Perspektiven, über deren Stimme. Es gibt keinen Off-Ton, keinen Text - es sind nur die Zeitzeugen, die selber dabei waren: das fliegende Personal, auf deutscher und auf englischer Seite, die Besatzung der Flaktürme, der Luftabwehr, und die größte Gruppe, die Zivilisten. Die Schnittidee folgt dieser Konstellation aus verschiedenen Ebenen: Luft, Boden, die unterschiedlichen Perspektiven untertage, übertage, und dann natürlich die Chronologie der Ereignisse.
Bleiben wir zunächst bei den Hamburgerinnen und Hamburgern, die das miterlebt haben: Wie haben Sie die aufgespürt?
Grasse: Ganz unterschiedlich. Das sind zum einen Zeitzeugenaufrufe gewesen, aber ich bin auch auf der Straße auf Leute zugegangen.
Was waren besonders bewegende Begegnungen für Sie?
Grasse: Das war im Schatten des großen Turms von Sankt Nikolai, zum 70. Jahrestag. Das war eine Gedenkveranstaltung. Abseits stand ein eleganter Herr mit Jackett und Weste - der war wie aus der Zeit gelöst. Den habe ich angesprochen und der erzählte mir die Geschichte, dass er beim ersten Angriff vom 24. auf den 25. Juli, als diese Operation in der Nacht begann, zu seiner Flakstellung in den Hafen ging und sich in dieser rauchenden, brennenden Innenstadt verloren hatte. Er stand im Schatten des Turms, dieses heutigen Mahnmals von Sankt Nikolai, und sah diesen Turm von innen beleuchtet, weil der Turm brannte. Diese Verbindung eines realen Ortes, an dem man steht, und der Geschichte des Zeitzeugen, das war für mich einer dieser Schlüsselmomente. Das hat gezeigt: Hier ist noch Geschichte da; du kannst es in der Architektur lesen, aber auch noch in den Erzählenden, die es selbst erlebten.
In Ihrem Material gibt es eine Szene, wo Sie mit einem Herrn in den Keller gehen. Das ist wahrscheinlich der Ort, wo er damals Schutz gesucht hat, oder?
Grasse: Das ist eine Aufnahme in einem Luftschutzbunker. Ich bin immer wieder mit den Zeitzeugen an diese Plätze gegangen. Das ist eine Konfrontation, die die Zeitzeugen scheuten, aber dann auch wieder suchten, weil es immer die Konfrontation mit ihrer eigenen Geschichte ist: Ich stelle mich dieser Geschichte. Insofern sind es sehr intensive Momente gewesen. Aber das passierte freiwillig. Wir haben uns, sofern das möglich war, die Orte wieder aufschließen lassen und sind in die Luftschutzanlagen reingegangen.
Es gibt auch Gespräche, die Sie in Großbritannien mit Überlebenden der Royal Airforce geführt haben. Wie blicken diese Männer heute auf die damaligen Angriffe?
Grasse: Mit einer ganz großen Abwehr. In den meisten Fällen spricht man immer nur von "militärischen Zielen" und das Flächenbombardement wird ausgeklammert. Bei einem Interview mit einem "rear gunner", der also im Abwehrstand des Flugzeuges saß, wollte mir dieser nach dem Gespräch gerne die Hand schütteln. Der war während des Gesprächs sehr geschüttelt von dieser Angst, immer wieder Angriffe auf Zivilisten geflogen zu sein. Das hatte ihn sehr bewegt - das war aber eine Ausnahme.
Wie geht es jetzt weiter? Wie lange werden Sie noch editieren an diesen Erinnerungen?
Grasse: Es liegt immer noch eine ganz lange Liste an Zeitzeugen auf dem Schreibtisch, die noch interviewt werden müssen. Dieser "rough cut" war nur eine ganz kurze Unterbrechung, weil das Wichtigste ist, die Interviews weiter fortzusetzen. Perspektivisch wird das bis Mitte des nächsten Jahres gehen und dann wird dieses Projekt in die richtige Schnittphase gehen.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.