"Forget me not": Queere Vorbilder in der Klassik sichtbar machen
Als Teil des PHŒNiX festivals fand eine ganz besondere Veranstaltung in der Hamburger Elbphilharmonie statt. Das Projekt "Forget Me Not" stellte die Geschichten queerer Komponistinnen und Komponisten vor.
"Doch bin ich, wie ich bin". Diese Zeilen des Komponisten Franz Schubert bringen etwas zum Ausdruck, das lange Zeit für große Aufregung sorgte. Seine Sexualität. "Schubert hat jahrelang mit homosexuellen Männern zusammengelebt und das Bett geteilt. Die Reaktion im deutschsprachigen Raum fiel heftig aus. Man war empört, dass das Bild des heiligen Schubert angekratzt werden sollte", sagt Tim Stolte, der mit seinem Partner Daniel Philipp Witte das Projekt "Forget Me Not" ins Leben gerufen hat.
Die Geschichte des jungen Musikers Schubert wird so zum ersten Mal auf der Bühne der Elbphilharmonie erzählt. Stolte und Witte wollen aufklären über queere Komponistinnen und Komponisten. Im lilafarbenen, glitzernden Anzug erzählen sie nicht nur die Geschichten der Musiker, sondern singen auch ihre Lieder.
Chopins "Outing" schlug hohe Wellen
"Ich finde das besonders wichtig, queere Vorbilder auch in der klassischen Musik sichtbar zu machen, hörbar zu machen. Und zum einen ist das eben ein Empowerment für die Community, die mit neuen Vorbildern in Kontakt kommt. Und für die, die die Komponisten vielleicht schon kennen, die sich mit klassischer Musik auskennen, die vielleicht nicht queer sind, die können auch ganz viel dazulernen und einen anderen Standpunkt einnehmen", erklärt Stolte.
Zehn queere Komponistinnen und Komponisten stellt er mit seinem Partner vor. Einer von ihnen ist - neben Schubert - auch Frédéric Chopin. Erst vor vier Jahren deckte ein Musikredakteur eines Schweizer Rundfunksenders auf, dass der polnische Komponist schwul war. In seiner Briefsammlung fanden sich reihenweise Liebeserklärungen - an Männer. Die Recherche schlug hohe Wellen: der Nationalheld der Polen: ein schwuler Mann.
Für den Hamburger Stolte war das hoch emotional: "Ich war richtig wütend und empört, weil ein queeres Vorbild unsichtbar gemacht wurde und mir das viel geholfen hätte, in meiner musikalischen Ausbildung einen Bezugspunkt zu haben. Das Faszinierende war auch, dass ich die Musik anders wahrgenommen und gehört habe. Sie spricht jetzt viel mehr zu mir. Ich kann mich viel mehr damit identifizieren."
"Queere Menschen gab es immer"
Genau deswegen sei es so wichtig, auf die Bühne zu gehen und zu erinnern, so Witte: "Es gibt, glaube ich, eventuell gerade bei vielen Menschen eine Wahrnehmung, dass queere Themen oder bestimmte andere Diversitätsthemen sehr präsent sind, und es gibt den Versuch, das zu labeln als eine Modeerscheinung oder irgendwas Neues. Gerade, weil wir hier Musik erklingen lassen, die 200 Jahre alt ist, wollen wir damit auch noch sehr klar machen: Queere Menschen gab es immer, und queere Menschen haben einen großen Anteil an der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung Europas und unserer Welt. Das darf nicht verschleiert werden."
Noch immer ein Randphänomen
Denn Fakt ist: Das Thema Queerness ist in der Klassik immer noch ein Randphänomen. Und das merkt man auch, wenn man die queere Community fragt. In der Elbphilharmonie als Mann mit glitzerndem Kleid zu erscheinen - für viele undenkbar. "Wenn hier offen queere Kultur gefeiert wird, dann ist das schon ein großes Ding für mich. Heute hier mit Perlenkette auftauchen zu dürfen und zu können, ist schon eine tolle Sache", sagt ein Besucher. Ein anderer findet es "unfassbar schön, dass das aufgebrochen und sichtbarer gemacht wird".
An diesem Abend fühlt es sich wirklich so an, als sei etwas Besonderes in der Luft. Fast schon, als würde Franz Schubert selbst im Raum stehen. Als der homosexuelle Mann, der er war - und nicht als das, was die damalige Zeit ihm aufzwang zu sein.