Rostock: Erster Spatenstich für Volkstheater-Neubau

Stand: 30.04.2024 10:00 Uhr

Seit Jahrzehnten wird in Mecklenburg-Vorpommerns größter Stadt in einem Provisorium Theater gespielt. Das alte Haus war im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Jetzt bekommt Rostock den von vielen lang ersehnten Neubau.

von Jürgen Opel, mit Material der dpa

Der Baustart des neuen Rostocker Volkstheaters hat nach Ansicht der Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Linke) für ein Durchatmen in der Hansestadt gesorgt. "Es fühlt sich an wie eine Erleichterung", sagte die Politikerin beim feierlichen Spatenstich oberhalb des Rostocker Stadthafens am Montag vor zahlreichen Gästen. Auch Kulturministerin Bettina Martin (SPD), Innenminister Christian Pegel (SPD), Volkstheater-Intendant Ralph Reichel und die Chefin des zuständigen Kommunalbetriebs, Sigrid Hecht, nahmen symbolisch Spaten in die Hand.

208 Millionen Euro Baukosten

Bis 2028 soll für 208 Millionen Euro ein modernes Haus mit zwei Sälen an der Langen Straße am Bussebart entstehen. Die Theatersäle sollen den Angaben zufolge 650 beziehungsweise 200 Zuschauer fassen. Vorgesehen sind demnach auch Gastronomie, öffentliche Bereiche und 100 Parkplätze im untersten Kellergeschoss. Das stufige Dach soll begrünt und Geothermie aus bis zu 100 Metern Tiefe genutzt werden.

Der Theater-Neubau ist seit Jahrzehnten Thema in Rostock. 2018 und noch einmal Ende 2023 fasste die Bürgerschaft Beschlüsse für den Neubau. Das aktuell genutzte Haus gilt als marode, eine Sanierung wäre laut Theater um ein Vielfaches teurer als ein Neubau gewesen. Das Volkstheater Rostock ist ein Vier-Sparten-Haus mit Orchester, Schauspiel, Musiktheater und Tanz.

Johanna Schall: "Würde nackt auf Doberaner Platz Polka tanzen"

Wenn alles klappt wie geplant, könnte der Tag der Eröffnungs-Premiere am Bussebart im Sommer 2028 für Furore sorgen. Großer Bahnhof und Medienrummel im neuen Großen Haus. Mit einer Gala für alle, die schon immer für das Theater waren. Am Doberaner Platz aber könnte, zunächst unbeachtet, eine ältere Dame auf und ab gehen, um schließlich ein fast verjährtes Versprechen einzulösen und einen Theaterskandal der besonderen Art auszulösen.

Johanna Schall im Porträt © Dorit Gätjen
In einem Interview gibt Schauspielerin und Regisseurin Johanna Schall 2006 ein besonderes Versprechen ab.

Bei der Dame handelte es sich dann um die 2028 knapp 70-jährige Johanna Schall - Schauspielerin und Regisseurin, Ex-Schauspieldirektorin in Rostock und Enkelin von Bertolt Brecht und Helene Weigel, Tochter von Ekkehard Schall, dem Brecht-Darsteller schlechthin. Das Versprechen der Schall wäre dann 22 Jahre alt. Gegeben in der Fernsehöffentlichkeit beim zwischenzeitlich abgeschalteten ZDF-Theaterkanal. Im Interview mit Esther Schweins sagte sie 2006: "An dem Tag, an dem Rostock ein neues Theater bekommt, bin ich bereit, rot angemalt und nackt auf dem Doberaner Platz Polka zu tanzen. Das wäre zwar sehr peinlich. Aber ich wäre sehr glücklich, wenn ich die Wette verlieren würde." Und sie fügte noch an: "Ich glaube nicht dran."

Kleckern oder doch klotzen?

Dass die Stadt nun entgegen aller Unkerei doch dabei ist, die Kleckerei zu lassen und wirklich mal zu klotzen, wird für die Skeptiker, die stets meinten, dass der immer wieder aufs Neue geerdete Neubau Zeichen für das notwendige Scheitern großer Ideen in Rostock sei, ganz sicher verwundern. Und dennoch: Noch nie zuvor war die Stadt so nahe dran, an einem neuen Volkstheater - wenn da nicht über dem "großen Ereignis" der Schatten eines Bürgerentscheids ziehen würde.

Das Rostocker Stadttheater Mitte der 1930er-Jahre, von außen betrachtet. © Stadtarchiv Rostock /Volkstheater Rostock
Die Baukosten für das Rostocker Stadttheater (hier Mitte der 1930er-Jahre) werden Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend durch Spenden der Rostocker gestemmt.
Traum und Alptraum 

Wie viel einfacher war alles noch im 19. Jahrhundert! Im Januar 1894 wurde der Architekt Heinrich Seeling mit der Planung und Bauleitung für ein neues Stadttheater in Rostock beauftragt. Im Frühling desselben Jahres gab es den Baustart und gerade mal 15 Monate später war das repräsentative Stadttheater am Steintor fertig. Eingeweiht wurde es mit einer Festvorstellung für die Bürgerschaft am 5. Oktober 1895. Im Zuschauerraum gab es zu Beginn 949 Plätze, vor dem Haus eine Auffahrt mit Springbrunnen, Rasenplätzen und Blumenbeeten. Die Kosten betrugen damals 600.000 Mark. Das entspräche heute in etwa 4,6 Millionen Euro. Der überwiegende Teil der Baukosten wurde durch Spenden der Rostocker finanziert. In der Nacht vom 24. zum 25. April 1942 wurde das Stadttheater bei Fliegerangriffen zerstört und brannte aus. Die Ruinen wurden im August 1948 gesprengt. 

Ein Provisorium für die Ewigkeit?

Die Tanzgaststätte in der "Philharmonie" an der Doberaner Straße stammt aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Es war die Heimstatt der Gewerkschaften bis 1933, dann wurde das Gebäude von der Deutschen Arbeitsfront übernommen und noch im Jahr der Zerstörung zum Theater umgebaut. Mit der Operette "Der Vetter aus Dingsda" war 1944 aber schon wieder Schluss mit lustig. Theater geschlossen. Bis zum Kriegsende konnten noch Filme gezeigt werden, dann wurde das Gestühl ausgebaut und Platz für Flüchtlinge und Vertriebene geschaffen. Erst im August 1945 wurde das Theater Rostock wieder eröffnet. Und bis Mitte der 70er-Jahre blieb alles beim Alten in der damaligen Hauptspielstätte für knapp 800 Besucher. 

Das Volkstheater Rostock, von außen betrachtet. © Dorit Gätjen
Das Große Haus an der Doberaner Straße
Zur Kunst in den Keller

Es war Zeit für den ersten wirklichen Umbau. Ein Bühnenturm wurde gebaut, das Theatercafé aufgesetzt, neue Zugänge geschaffen, Probebühnen und Foyers eingerichtet. Im Großen Saal war nur noch Platz für 600 Zuschauer. Weil die Doberaner Straße sieben Meter über dem Saal auf Höhe des Patriotischen Weges lag, wurde die legendäre "U-Bahn-Treppe" gebaut. Zur Kunst musste man in Rostock in den Keller, hieß es damals. Dort, so berichten die Urgesteine des Rostocker Theaterlebens, soll es auch heute noch nach den Zigaretten des legendären Intendanten Hanns Anselm Perten riechen. Witzbolde hatten nach der Wende dort auch sein riesiges Porträt in Öl aufgehängt. Auch eine Form von Traditionspflege. 

Die Partei will ein neues Theater - oder lieber doch nicht?

Der allererste Plan ist manchmal der Beste. Das könnte man heute rückblickend sagen. Denn 1957 bereits kam der Architekt Joachim Näther in seiner Diplomarbeit auf die Idee, das neue Große Haus am Bussebart mit Blick auf den Stadthafen zu bauen. Und was der angehende Architekt sich ausgedacht hatte, wurde in den kommenden fünf Jahren tatsächlich zur Ausführungsreife gebracht. Bis dann der Sozialistische Realismus der Utopie den Garaus machte. Die Baukosten damals: 20 Millionen Mark. Geld, das die Partei nicht rausrücken wollte. Der Hafen war wichtiger. Eine erste Pleite. Und weitere folgen. Am selben Standort wurde zwei Jahre später für die Hälfte geplant. Aber auch daraus wurde nichts. Es folgte 1970 eine weitere Idee für ein Theater am Wallgraben. Und auch dieses Projekt für insgesamt 1.400 Besucher war schon weit gediehen, bis es schließlich wieder kassiert wurde, weil wieder einmal Anderes Vorrang hatte.

Planungen nach der Wende

Geplant wurde auch nach der Wende fleißig weiter: noch einmal für den Bussebart, dann auf der alten Neptunwerft, ebenso an der Fischerbastion, nicht zu vergessen im Rosengarten, am Schröderplatz auch und dann wie 1957 wieder am Bussebart. Einen Überblick der verschiedenen Neubau-Ideen hat der Theaterförderverein Rostock hier zusammengestellt. Was in 30 Jahren DDR-Planwirtschaft nicht klappte, das schafften die Stadtväter und -mütter auch nach 1989 jahrzehntelang nicht. Seit 1992 gibt es einen Beschluss der Bürgerschaft für einen Theaterneubau - der nun endlich in die Tat umgesetzt wird.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kulturjournal | 15.11.2023 | 19:30 Uhr

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