"Keiner kommt hier lebend raus": Poetry Slam zum Tabuthema Tod
Sterben, Tod und Trauern - nicht gerade leichtverdauliche Themen. Genau darum geht es beim Festival der Endlichkeit in Lübeck. Unter dem Motto "Keiner kommt hier lebend raus" gab es am Mittwoch einen Poetry Slam im Schuppen 6.
Bei der Begrüßung zunächst Partystimmung: Das Publikum erwartet sechs Slammerinnen und Slammer aus ganz Deutschland. Doch als sie ihre Texte performen, wird es ganz ruhig. Der Slammer und Autor Henrik Szanto aus Hannover macht sich Gedanken darüber, dass Verstorbene durch die Erinnerungen und Geschichten der Hinterbliebenen lebendig bleiben.
"Doch solange Leute einsam sterben, werde ich weiter dichten
Sie haben sonst nichts zu vererben,
keine Schätze mehr zu bergen,
keinen Anker mehr zu lichten,
mir und ihnen bleibt nichts mehr als unglaubliche Geschichten."
Henrik Szanto
Für den Slam-Poeten ist der Tod ein dankbares und schier unerschöpfliches Thema, aber auch herausfordernd. "Wie bei allen sensiblen Themen ist da eine besonders feine Klinge gefragt", sagt Szanto. "Ein besonders empathischer Umgang. Das ist etwas, das uns alle betrifft, aber unterschiedlich stark und heftig."
Der Tod gehört zum Leben dazu
Hinter dem Abend und der Veranstaltungsreihe "Moin Tod" steckt das Palliativnetzwerk Travebogen in Lübeck. Für die Sprecherin Inken Genkel ist ein Poetry Slam genau der richtige Rahmen, um sich mit Themen auseinanderzusetzen, vor denen viele am liebsten die Augen verschließen. "Wir wollen auch die jüngeren Menschen erreichen, denn der Tod gehört einfach zum Leben dazu und je früher wir darüber reden, desto normaler wird er sicherlich auch", schildert Genkel. "Das ist auch das Bestreben unseres Festivals. Dass wir uns trauen, dieses Tabuthema Tod in die Mitte des Lebens zurückzuholen."
Mit Erfolg: Der Schuppen 6 am Rande der Lübecker Altstadt ist voll. "Es bringt eine gewisse Leichtigkeit in das Thema rein", sagt der Lübecker Florian Lotties. "Für mich hat so ein Slam auch immer das Ziel, nicht ganz leichte Themen zu verarbeiten."
Sie hat die lindgrünen Augen ganz geschlossen.
Tiefe Atemzüge lassen hoffen, dass ihr Lachen bloß schläft.
Weil der Schlauch in ihrem Rachen regelmäßig ihren Brustkorb hebt."
Jenny Ly-Rieck
Von schmerzhaften Verlusten und schönen Leben
Das hier ist ein besonderer Poetry Slam - einer ohne die obligatorisch witzigen Wortspiele. Die Texte sind ernst, zumindest melancholisch - oft auch wütend und voller Verzweiflung. Vom Kraftakt, einen betrauerten Menschen loszulassen und selbst weiterzumachen, über den Verfall eines jüngeren Mannes, der an Demenz erkrankt bis zu den letzten Stunden einer jungen Organspenderin. Viele Texte erzählen von Verlusten - feiern aber auch immer wieder das Leben.
"So tauschte sie das Sterben, im Beisein ihrer Lieben
gegen ein paar Jahre in vier weiteren Leben ein
Um so, noch auf ihrer Totenbahre,
die Wiege einer neuen Welt zu sein."
Jenny Ly-Rieck