Hamburger Theaterprojekt: Jugendliche recherchieren in Auschwitz
Der Lehrer Hédi Bouden hat mit einer Theatergruppe eines Hamburger Gymnasiums das Konzentrationslager Auschwitz besucht. Die Eindrücke sind in ein Theaterstück eingeflossen - ein Projekt gegen den Hass.
Eine Reise, die beklommen macht. In Auschwitz wollen diese Jugendlichen dem Grauen, mit dem sie sich schon lange beschäftigen, echte Bilder hinzufügen. Hédi Bouden, Theaterlehrer an einem Hamburger Gymnasium, hat den Besuch organisiert. "Vor Ort zu sein ist etwas, was die gesamte Einstellung zu dieser Thematik verändert. Ich finde diesen Schritt ganz wichtig für uns als Menschen, die in Deutschland mit der Tätersprache groß werden, auch wenn man keinen biografischen Kontext zu dieser Geschichte hat."
Was hat das mit mir zu tun?
Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, mit der deutschen Schuld. Für junge Deutsche mit Migrationsgeschichte stellt sich dabei aber immer auch die Frage: Was hat das eigentlich mit mir zu tun? Hédi Boudens Gruppe ist für diese Themen sensibilisiert. Doch hier in Auschwitz bekommt alles noch einmal ein ganz neues Gewicht.
Wir können vor der Situation fliehen
Der Schülerin Saachi Khattar ist der Besuch wichtig: "Ich finde es gut, dass ich gekommen bin um mir das anzugucken, aber ich finde auch wirklich nicht die Wörter." Solina Halimi friert: "Meine Füße tun weh. Und dann denke ich die ganze Zeit an die Leute, die hier die ganze Zeit gearbeitet haben, denen ging es auch nicht gut." Rajoua Mamadou geht der Besuch nahe, aber: "Jederzeit, wenn wir das Gefühl haben, dass es uns gerade zu viel wird, können wir einfach Pause machen und vor der Situation fliehen."
Zahlen bekommen endlich Gesichter
Manche Stationen der Gedenkstätte sind für Besucher:innen besonders schwer zu ertragen. Die Ausstellung der Schuhe etwa, die ganz persönliche Geschichten von den Opfern erzählen. Immer wieder muss Hédi Bouden Jugendliche trösten, die emotional überfordert sind. Wie viel die deutsche Geschichte mit ihren eigenen Biografien zu tun hat, unabhängig davon, wo ihre Wurzeln liegen – das wird vielen hier erst so richtig klar. Auch Nastaran Amiry: "Es war immer lebendig. Es ist immer eine reale Geschichte gewesen. Wir hatten immer diese Bilder im Kopf, und jetzt bekommen diese Bilder Farbe und diese ganzen Namen und Zahlen bekommen endlich Gesichter."
Projekt zu Holocaust-Gedenktag
In einem anderen Projekt haben sich die Teilnehmenden auch mit dem Holocaust-Gedenktag auseinandergesetzt, erzählt Lehrer Hédi Bouden. Einige sahen dadurch Verbindungen zu ihren eigenen Lebensgeschichten. "Dann hatten Jugendliche über ihre Familiengeschichte Kontext nach Srebrenica, den Völkermord sozusagen in Srebrenica. Dann hatten wir Ruanda mit drin, und jeder hat sozusagen etwas in der Familie weitervererbt bekommen an Geschichten, die man vielleicht nicht richtig zuordnen konnte. Aber es sind Emotionen, die weitergegeben werden."
Fast vier Stunden in Auschwitz sind geschafft. Die Teilnehmer:innen sind erschöpft von den Eindrücken. Aisha Issaka ist besonders berührt von einer Wand mit Porträts. "Da konnte man einfach sehen, in was für einer kurzen Zeit die Leute hier gestorben sind, dass man beispielsweise an einem Tag reinkommt und nach zwei Wochen dann verstorben ist."
Unvorstellbares rückt näher
Der zweite Teil der Tour führt zum Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz II-Birkenau. Hier rückt das Unvorstellbare noch ein bisschen näher: Die nachgebauten Baracken erzählen vom Alltag der hier Gefangenen. Von unmenschlichen Bedingungen, die Teil der grausamen SS-Strategie waren. Und schließlich die sogenannte "Sauna". Das Gebäude, in dem die deportierten Menschen endgültig ihrer Würde beraubt wurden. Dort liest eine Teilnehmerin aus einem Buch:
"Uns wurden die Haare geschoren. Unser Aussehen veränderte sich derart, dass mich meine eigene Mutter nicht erkennen konnte." Zitat "Lesung"
An diesem Ort, an dem für die Neuankömmlinge im Konzentrationslager das Martyrium begann, endet der Rundgang für die Gruppe aus Hamburg. Die letzte Station: Eine Fotowand mit Bildern der Opfer aus ihrem früheren Leben. Davor spricht Hédi Bouden zu den Teilnehmenden der Tour. "Diese Jüd:innen sind Menschen. Menschen so wie du und ich. Sie unterscheidet nichts, sozusagen vom Äußerlichen her, vom Innerlichen genauso nicht. Es war eine Rassenideologie, die verfolgt wurde. Das fremde Gesicht ist eigentlich mein Spiegelbild. Und das ist vielleicht etwas, wozu wir im Theater arbeiten sollten."
Eindrücke von Besuch in Theaterprobe
Mehrere Wochen später: Theaterprobe am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Hamburg. Die Mitglieder der Theatergruppe haben aus ihren Eindrücken in Auschwitz eine Performance entwickelt. Das Ergebnis: Selbstkritisch und reflektiert. Sie tragen ihre Gedanken laut auf der Bühne vor.
Acht Stunden Tour durch Auschwitz. Am Anfang wollte ich mehr erfahren. Aber nach acht Stunden, nach acht Stunden war ich müde. Ich war müde. Und dann habe ich mich gefragt, woher nehme ich mir das Recht müde zu sein? Zitat "Theaterprobe"
In Auschwitz, einer Massengrabstätte, lief eine Frau mit knalligen Klamotten und Stöckelschuhen. An so einem Ort tut man so etwas nicht. Zitat "Theaterprobe"
Wie sie lachend mit einem Daumen nach oben vor dem Tor "Arbeit macht frei" stehen und posieren… Zitat "Theaterprobe"
Besuch löst gemischte Gefühle aus
Es sind gemischte Gefühle, die bei den Jugendlichen nachwirken. Nastaran Amiry hat nicht Wut oder Hass verspürt, sondern eher Trauer, sagt sie. "Trauer, dass man aus so etwas nicht lernt und dass es so etwas immer noch heute gibt und das bestimmte Leute sich dagegenstellen, aus der Geschichte zu lernen. Also nicht, dass man einfach nur nicht lernt, sondern dass Menschen das aktiv nicht machen wollen."
Mit dem Hass arbeiten
Hass werde man nie überwinden können, das sei auch den Jugendlichen bewusst, sagt Hédi Bouden. "Hass wird immer da sein. Was aber wichtig ist, ist dass man über Hass spricht, dass man versteht, woher kommt dieser Hass und worin ist er begründet? Und welche Auswirkungen hat er? Überwinden kann man ihn nicht. Aber mit ihm arbeiten."
Ich sehe die Menschen. Ich höre ihre Geschichten. Ich schreibe sie auf, und werde sie weitererzählen. Wir schreiben sie auf und werden sie weitererzählen. Zitat "Theaterprobe"