Szene aus Früchte des Zorns © Jennifer Hörr/Deutsches Theater Göttingen Foto: Jennifer Hörr
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AUDIO: "Früchte des Zorns": Klassiker in Göttingen aktuell inszeniert (3 Min)

"Früchte des Zorns": Klassiker in Göttingen aktuell inszeniert

Stand: 05.11.2022 11:43 Uhr

"Früchte des Zorns" heißt der Jahrhundertroman des amerikanischen Autors John Steinbeck. Der 1939 veröffentlichte Stoff ist aktueller denn je: Es geht um Flucht, Armut und Ausgrenzung. Das Deutsche Theater Göttingen bringt ihn auf die Bühne.

von Katrin Pietzner

Die Familie Joad zieht es nach Kalifornien. Ein kleiner Treck von zwölf Menschen. Sie fliehen aus Oklahoma in den "Goldenen Westen". Hitze und Stürme haben ihr Land unfruchtbar gemacht. Ihr Land, das sie an die Banken verloren haben: Denn die Schulden konnten sie nicht zurückzahlen. Jetzt sind aus den Farmern Wanderer geworden. Die sorgen sich nicht mehr um die Ernte. Sie fragen sich, ob die alten Reifen und der klappernde Motor halten - und ob das Benzin reicht.

Doch die erhoffte Ruhe bleibt aus. Keine Arbeit. Kein Geld. Keine Orangen. Für Regisseur Christoph Mehler tun sich damit Abgründe auf: "Die Reise der Familie Joad ist nicht angenehm und ihnen begegnet natürlich Rassismus, ihnen begegnet Ausgrenzung, ihnen begegnet Armut, ihnen begegnen natürlich unglaublich viele Enttäuschungen auch, weil sie denken, dass es für sie besser laufen könnte." Doch es läuft nicht besser. Selbst die Familie droht auseinanderzubrechen. Umso wichtiger sind daher starke Figuren wie Mutter Joad. Sie wird im Deutschen Theater Göttingen von Judith Strößenreuter gespielt: "Sie versucht, den Laden zusammenzuhalten. Das ist das Allerwichtigste. Und sie versucht das zu schaffen, indem sie sich keine emotionale Schwäche erlaubt."

Geglaubte Sicherheiten brechen plötzlich weg

Das macht die Mutter und die Familie hart - in einer feindlich gesinnten Welt. Denn es sind Tausende, die im Westen eine neue Heimat suchen. Doch die Kalifornier fürchten sich. "Erst nehmen sie die Menschen auf, dann sind es zu viele. Dann haben sie Angst vor den Menschen, dann sind die Menschen zu fremd. Sie sind dann doch anders", findet Schauspieler Paul Trempnau, da sie woanders herkommen. Diese Okis, wie sie genannt werden, gelten als dreckig und ungebildet. Sexuelle Wüstlinge, die alles stehlen. Dennoch ist es nicht nur eine Geschichte der Verzweifelten.

Das Stück zeigt, wie geglaubte Sicherheiten plötzlich wegbrechen. Wie sich alles schlagartig ändern kann und die Menschen damit klarkommen müssen. Das Leben der Joads steht für viele Biografien - bis heute, glaubt auch Judith Strößenreuter: "John Steinbeck hat das damals geschrieben. Wenn Sie kommen und es sehen und diese Texte hören, dann ist es erschütternd wiederum festzustellen, dass die Menschheit auch in hundert Jahren nichts lernt und wir immer die gleichen Fehler machen. Es ist alles austauschbar."

Eine Parabel nah am Leben

Das ist das Anliegen des Theaterabends: Er ist eine Parabel, die nah am Leben ist, "weil es einen immer wieder wach macht und einen immer wieder anstößt, und man die Hoffnung nicht aufgibt", so Strößenreuter. "Sonst hätte man keine Kinder - weder im Theaterstück, noch im echten Leben - wenn man nicht denken würde: Vielleicht führen wir es doch noch irgendwohin."

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"Früchte des Zorns": Klassiker in Göttingen aktuell inszeniert

Der 1939 veröffentlichte Stoff ist aktueller denn je: Es geht um Flucht, Armut und Ausgrenzung. Das Deutsche Theater Göttingen bringt ihn auf die Bühne.

Art:
Bühne
Datum:
Ort:
Deutsches Theater Göttingen
Theaterplatz 11
37073 Göttingen
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassikboulevard | 05.11.2022 | 16:40 Uhr

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