"Schlussakkord": True Crime-Geschichten für Musikfans
"Schlussakkord. Wie Musiklegenden für immer verstummen" ist es ein kurzweilig geschriebenes Buch, das die Sensationslust des leicht morbide veranlagten Musikfans perfekt befriedigt.
Ingo Scheel ist Musikjournalist, Hobbymusiker und vor allem: Musikliebhaber. Nur folgerichtig also, dass er sein Buch "Schlussakkord" über früh verstorbene Popstars mit einer persönlichen Anekdote beginnt:
Im Sommer des sagenumwobenen WM-Jahres 1974 befand ich mich auf dreiwöchiger Ferienfreizeit im Harz. Plötzlich hieß es: Leute, alle mal herhören, Suzi Quatro ist tot! Hat auf der Bühne einen Stromschlag bekommen. Ein Griff in die Saiten, ein Britzeln, ein Schrei und dann ist sie einfach so umgekippt. Zack, fertig. Leseprobe
Eine Horrormeldung für ihn als Fan. Glücklicherweise stellt sich das Ganze schnell als Falschmeldung, als klassische Ente heraus. Suzi Quatro, mittlerweile 73, erfreut sich immer noch bester Gesundheit. Für ein Buch über tote Musiker ist es ein starker, weil komplett unerwarteter und herrlich selbstironischer Einstieg.
War Alexandras Tod ein Selbstmord?
Eine weitere Stärke von "Schlussakkord" ist, dass das Buch nicht nur die allseits bekannten Storys versammelt: Klar, die tragischen Lebens- und Todes-Geschichten von John Lennon, Marvin Gaye, Kurt Cobain oder Amy Winehouse dürfen nicht fehlen. Interessant wird es aber bei den Fällen, die vielleicht nicht jedem geläufig sind - oder zumindest nicht mehr. Wie dem der deutschen Sängerin Alexandra, bekannt geworden 1968 durch ihren Song "Mein Freund, der Baum". Alexandra stirbt im Alter von 27 Jahren bei einem Autounfall. Doch ihr Tod gibt Rätsel auf:
Augenzeugen berichten, dass Alexandra ungebremst über die Kreuzung gerast sei. War ihr Tod ein Selbstmord? Sie hatte kurz vor dem verheerenden Unfall ein Testament gemacht, eine zweite Lebensversicherung abgeschlossen, außerdem ein Familiengrab gekauft. Dann taucht eine Werkstatt-Quittung auf, der Mercedes war kurz vor dem Unfall durchgecheckt worden. Hatte jemand den Wagen manipuliert?
Krasses Schicksal von US-Punkrocker GG Allin
Spannend, geheimnisvoll, undurchsichtig - für True Crime-Fans ein gefundenes Fressen. Weniger rätselhaft - im Gegenteil: geradezu mit Ansage - ist dagegen der Tod des US-Punkrockers GG Allin. Sein Schicksal ist so herzzerreißend und krass, dass man sich unwillkürlich jenseits der Grenze zum Voyeurismus wiederfindet:
Die Familie Allin lebt in einer kleinen Hütte ohne fließend Wasser. GG’s Vater führt ein wahnwitziges Regiment. Er schlägt um sich, hat fiebrige Erweckungsvisionen, hebt Gräber aus und droht seiner Frau und den Kindern, sie allesamt umzubringen. Er hasst Tageslicht und Vergnügungen jeglicher Art. Finden die Kinder doch etwas zum Spielen, nimmt er es ihnen weg und vergräbt es im Wald.
Als Musiker gerät GG Allin schnell wegen seiner provokanten Bühnenshows und Exzesse in Verruf. Er stirbt schließlich nicht - wie von ihm geplant - auf der Bühne, sondern Backstage an einer Überdosis Heroin.
Geniale Idee - mit einem Manko
Kindheitstraumata durch Gewalterfahrungen in der Familie - das ist eine wiederkehrende Quelle des Unheils in diesem Buch. Ingo Scheel lässt die Einzelschicksale für sich stehen. Ein abschließendes Kapitel, das sie zusammenbindet und mögliche Gemeinsamkeiten oder Muster analysiert, gibt es nicht. Das ist das einzige Manko von "Schlussakkord".
Ansonsten ist es ein kurzweilig geschriebenes Buch, das die Sensationslust des leicht morbide veranlagten Musikfans perfekt befriedigt. In einer Zeit, in der die Faszination und Popularität für und von True Crime-Geschichten ungebrochen ist, fragt man sich am Ende der Lektüre nur, warum noch niemand vor Ingo Scheel auf diese geniale Idee gekommen ist.
Schlussakkord. Wie Musiklegenden für immer verstummen
- Seitenzahl:
- 232 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Ventil Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3955752200
- Preis:
- 24 €