Magische Texte: Neuer Gedichtband von Friederike Mayröcker
Vor 100 Jahren wurde die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker geboren. Im Andenken an diese stilprägende Autorin hat der Suhrkamp Verlag ein neues Buch mit zum Teil bisher unveröffentlichten Texten herausgegeben.
Unter dem Titel "Magische Blätter" hat Friederike Mayröcker insgesamt sechs Gedichtbände veröffentlicht. Und so könnte auch der Schlüssel genannt werden, der einen Zugang zu ihrem Gesamtwerk ermöglicht. Magisch sind auch diese Texte. Sie zeigen, Zeile für Zeile, aus welchen Quellen sich Mayröcker immer wieder für ihr Schreiben genährt hat. Eine dieser nicht versiegenden Quellen waren die Erinnerung an die langjährigen Weg- und Lebensgefährten Ernst Jandl: "Für mich war die Nähe von Ernst Jandl ganz wichtig: für den Weg, den meine Poesie genommen hat. Ich wäre nicht dorthin gelangt, hätten wir uns nicht kennengelernt. Da wäre ich wahrscheinlich versumpert, wie man so schön sagt", erinnerte sich Friederike Mayröcker noch im hohen Alter an Ernst Jandl.
Aber auch andere Einflüsse hat sie in ihrer Lyrik stets aufscheinen lassen: Philosophen wie Jacques Derrida, Malerinnen wie Maria Lassnig, Dichterkollegen wie Francis Ponge und Marcel Beyer, der diesen neuen Gedichtband herausgegeben und mit einem Nachwort versehen hat. Und auch die Musik hat sie beim Schreiben immer begleitet. Maria Callas kommt mehrmals vor. So auch in dem Gedicht "Fleisch des Gedichts":
durch Briefe mach ich mich lebhaft zum
Anbeten, Heulen während im Hintergrund aufschwebend
Maria Callas diese Arien wie Tränen was überhaupt der stärkste
Rausch usw., Stunden lange kann ich vor den Gebirgsreihen am
Fenster sitzen und das Haar darauf legen
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Die Lyrik im Alltäglichen
Auch das Alter ist ein immer wiederkehrendes Thema. Sie selbst hat es einmal so charakterisiert: "Man will bei sich bleiben, will nichts wegschenken, will nichts von der eigenen Substanz entbehren, will nur noch lesen, schreiben, sich ein wenig bewegen, die restliche Zeit nur noch in Ruhe gelassen werden, in einer Ecke sitzen und aus dem Fenster blicken."
Die einen sitzen am Fenster und sitzen dabei "nur" am Fenster. Bei Friederike Mayröcker war es nur eine Frage der Zeit, bis auch aus dieser Alltäglichkeit wieder lyrische Zeilen hervorgingen. Wie zum Beispiel das Gedicht "Die Farbe Grau":
und holpriges Gedicht
an diesem grauen Morgen durchs
Fenster blickt der graue Horizont, ich
sitze grau im Streckfauteuil und denke graue
Zeit. Mein Mut ist grau und alt ich
rufe meinen Bruder
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Die Grenzen zwischen Prosa und Poesie verschwimmen
Die Gedichte sind chronologisch sortiert und mit Daten versehen. So nehmen wir beim Lesen auch teil an einer Art Tagebuch. Die meisten Poeme stammen aus der Zeit von 2004 bis 2011. Dann werden die Abstände größer. Die Grenzen zwischen Prosa und Poesie verschwimmen immer mehr. Kein Wunder also, dass Friederike Mayröcker selbst von "Proemen" sprach, um diese Grenzenlosigkeit auch auf einen Begriff zu bringen. Am Ende der Lektüre bleibt Traurigkeit: Wie, das soll es jetzt gewesen sein? Nie wieder Mayröcker? Unvorstellbar. Bestimmt kommt da noch mehr. Und bis dahin können wir einfach noch einmal von vorne beginnen.
Gesammelte Gedichte
- Seitenzahl:
- 560 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Suhrkamp
- Bestellnummer:
- 978-3-518-43207-5
- Preis:
- 38 €