In deutschen Reihenhäusern
Das Reihenhaus gilt oft als Inbegriff vorstädtischer Spießigkeit, als Stein gewordener Kompromiss für diejenigen, die sich den Traum vom Einzelhaus nicht leisten können. Die Fotografen Albrecht Fuchs und Marc Räder zogen durch Siedlungen, blickten hinter die Fassade und porträtierten die Bewohner, die die Journalistin Inken Herzig interviewte. Silke Lahmann-Lammert stellt ihr Buch vor.
Raimund und Heike B. haben sich mit ihren beiden Kindern auf der Terrasse platziert. Ein Foto wie fürs Familienalbum: Links der Vater, rechts der Sohn, dazwischen - in steifen Posen - Mutter und Tochter. "Bitte recht freundlich!"... und alle lächeln um die Wette.
Im eigenen Heim
Albrecht Fuchs hat die vier Reihenhausbewohner durch die geöffnete Glastür fotografiert. Auf diese Weise gestattet er dem Betrachter nicht nur einen Blick vom Wohnzimmer bis in den Garten, sondern fängt auch ein, was die B.s sich unter einem gemütlichen Zuhause vorstellen: Links eine wuchtig-schwarze Ledergarnitur, rechts die weiße Schrankwand mit kegelförmiger Vitrine. Heike B.s Schatztruhe für artig aufgereihte Gläser und Nippesfiguren. Draußen bedeckt eine Schreberlaube samt Kaninchenstall den größten Teil des Handtuch-großen Rasens.
Kein Zweifel: Familie B. fühlt sich wohl in ihrem Zuhause. Der Stolz aufs eigene Heim spiegelt sich in den Gesichtern. Raimund B., so verkündet die Bildunterschrift, verdient sein Geld als Lkw-Fahrer, Heike B. als Arzthelferin. Kein Kunststück also, sich den finanziellen Kraftakt auszumalen, den der Immobilienkauf für die beiden bedeutete.
Zufriedenheit braucht keine Designermöbel
Sieht es in deutschen Reihenhäusern tatsächlich so spießig aus, wie böse Zungen behaupten? Wer sich die Fotos von Albrecht Fuchs und Marc Räder ansieht, muss die Frage mit "ja" beantworten. Phantasielose Kaufhaussofas, Terrassenmöbel aus Plastik und Gartenzwerge auf dem Rasen sind an der Tagesordnung. Trotzdem lassen sich die Fotografen nie dazu hinreißen, sich über die Menschen, die sie portraitieren, lustig zu machen.
Ihre Bilder dokumentieren, ohne zu bewerten. Und zeigen: Zufriedenheit hängt nicht von Designermöbeln ab. Der Architekt, der seine Wände weiß gestrichen und die Räume so schlicht und modern eingerichtet hat, wie ein Reihenhaus aus dem Schöner-Wohnen-Magazin, blickt mit dem gleichen Besitzerstolz in die Kamera wie sein Nachbar, der sein Glück zwischen Blümchengardinen und Fichtenholzregalen gefunden hat.
Die Soziologie des Reihenhauses
Gelungen sind die Fotos auch, weil sie viel über die Familien erzählen: Man erkennt sofort, wer zuhause die Hosen anhat. Oder wer sich lieber mit dem Hund als mit dem Ehepartner ablichten lässt. Spannend auch die beiden Aufsätze, in denen die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Werner Sewing die Geschichte des Reihenhauses Revue passieren lassen. Eine Bauform, die im 18. Jahrhundert in England entwickelt wurde und sich in Deutschland - anders als im Nachbarland Holland - nie wirklich durchgesetzt hat.
Mit nüchterner Sachlichkeit
Ein gut gemachter, aufschlussreicher und - mitunter - sehr amüsanter Bildband. Mit einer Einschränkung: Die Kommentare zu den Bildern sind brav und langweilig geraten - Texte ohne jeden Abstand, ohne Ironie. Die Journalistin Inken Herzig hat sie auf Grundlage von Interviews mit den Bewohnern geschrieben.
Waren Kritik und kluge Analyse unerwünscht? Diese Frage stellt sich spätestens beim Blick auf den Herausgeber des Buches: Dr. Daniel Arnold, Vorstand der Deutschen Reihenhaus AG.
In deutschen Reihenhäusern
- Seitenzahl:
- 244 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Callwey
- Bestellnummer:
- 978-3766717900
- Preis:
- 39,00 €