"Ein kleiner Händler, der mein Vater war": Über die Wichtigkeit des Erinnerns
Die 1910 in Freiburg geborene Schriftstellerin Lotte Paepcke hat als Jüdin das Naziregime in Deutschland überlebt. Jetzt ist in einer Neuauflage ihr 1972 verfasster Text mit einem Nachwort ihres Enkels und zweier Urenkelinnen erschienen.
In ihrem literarischen Werk hat Lotte Paepcke sich immer wieder mit ihrem Lebensthema auseinandergesetzt und über den Umgang mit Überlebenden des Holocaust geschrieben. Es ging ihr um einen politischen und geistigen Neuanfang, der nur mit Wissen über die Vergangenheit glücken kann.
Das traurige Los eines jüdischen Händlers
Andere Mädchen hatten größere Väter und ich beneidete sie darum. Leseprobe
Mit diesem Bekenntnis beginnt der Roman, und was dann folgt, kann man mit aller Wucht als große Liebeserklärung einer Tochter an den Vater bezeichnen. Er handelte mit Leder, und seine Tochter beobachtet, wie es war, wenn die Schuhmacher zu ihm kamen, um Häute für das nächste halbe Jahr einzukaufen.
Das Kind spürt, wie sich die Bedingungen für den Vater in der aufkommenden Naziherrschaft verändern, wenn er in die Dörfer fuhr, um seine Lederware zu verkaufen.
Er stand, der kleine Jude, in den Werkstätten der Dörfer, inmitten von Feld und Tannenwald, und löste kleine farbige Witze von der eigenen Existenz ab und blies sie über den Schuhmacher weg und über seine Frau. Die Witze wollten besagen, dass er, der Lederhändler, hier stand, um sein Leder anzupreisen, denn er lebte davon. Dass diese Tätigkeit aber in ihrer Vorläufigkeit und in ihrer Hinfälligkeit von ihm erkannt war. Denn was galt vor dem Jahrtausendatem des Ewigen das Leder? Und sicherte sein Verkauf vor alten und neuen Untergängen? Und stand alles denn fest zwischen dem deutschen Schuhmacher und dem jüdischen Händler? Leseprobe
Der Ausschluss aus der Gesellschaft
Mit Melancholie und Mitgefühl für den Vater beschreibt Lotte Paepcke seine zunehmend bedrückende Situation als jüdischer Händler. Er ist bisher ein geachteter Bürger und Stadtrat, aber dann traut man ihm das Amt plötzlich nicht mehr zu. Und dann wird dem Vater die Staatsbürgerschaft als Deutscher aberkannt. Mit viel Geschick organisiert er seine Flucht. Als er nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrt, erlebt er, dass, wer einmal seine Heimat verloren hat, sie bei der Rückkehr nicht zurückbekommt.
(…) ein Deutscher wurde er nicht mehr. Denn die Einzelnen, die zu ihm gehalten hatten, konnten nicht die Angst aufwiegen vor der anonymen Masse aller Unbekannten um ihn her. Wie sollte er wissen, wer von all den Freundlichen und wie viele ihn hatten umbringen wollen. Die Deutschen hatten ihm ihr Nein gesagt, und sein Leben war nicht mehr imstande, an Zurücknahme oder ein neues Ja zu glauben. Leseprobe
Von der Erfahrung des extremen Ausschlusses aus der Gesellschaft, den er erlebte, erzählt im Anschluss an den Roman die Hauptfigur selbst. Max Mayer schrieb 1938 einen Brief an seinen Enkel, dessen Aufwachsen er nicht mehr erleben würde. Im Nachwort beschreiben Enkel und Urenkelinnen, wie wichtig ihnen das Erinnern ist, denn sie wollen die Schatten der Vergangenheit, mit denen sie aufgewachsen sind, nicht wieder gewinnen lassen.
Ein kleiner Händler, der mein Vater war
- Seitenzahl:
- 120 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- 8 Grad Verlag
- Veröffentlichungsdatum:
- 22. Februar 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-910228-51-1
- Preis:
- 22 €
Schlagwörter zu diesem Artikel
Romane
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