"Drei ostdeutsche Frauen ...": Von Schubladendenken und Freiheit
Eine Dramaturgin, eine Journalistin und eine Soziologin schreiben zusammen ein Buch und nennen es "Drei Ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat". Herauskommt ein witziger und doch sehr nachdenklich machender Trialog.
Der Traum von Freiheit wurde immer wieder geträumt. Der Revolutions-Traum von 89, aber auch die Einheitsrealität danach. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ost und West. "Das haben so viele Leute gedacht und auch gehofft, dass sich dieses Ost-West-Thema längst erledigt hätte", sagt die Autorin und Dramaturgin Peggy Mädler und Annett Gröschner ergänzt: "Es ist ja auch total nervig. Also, warum sitzen wir immer noch in dieser Pfütze!?" Zusammen mit der Soziologin und Fotografin Wenke Seemann haben sich die zwei aus Frust und Gestaltungslust mehrmals getroffen. Sie haben sich mit Wodka und Buletten gestärkt und Kassensturz gemacht.
Den drei Frauen ist es im Superwahljahr ernst. Ihr Buch mit dem Titel: "Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat" ist unterhaltsam. Wenke Seemann lächelt und meint: "Um auf jeden Fall gleich mal zu sagen, wie ernst wird das mit der Deutungshoheit im Titel meinen", und Peggy Mädler fügt an: "Wenn jemand mit einem Konzept des idealen Staates daher gelaufen kommt, dann denke ich auch ganz schnell an: Die Partei hat immer recht. Wir sind ja in einer perfiden Inszenierung eines idealen Staates aufgewachsen, der so die ganze Zeit behauptet hat, Ungerechtigkeit und Ausbeutung abzuschaffen und dabei schön eine Diktatur aufgebaut hat."
Sensibler Blick auf die Gesellschaft
Den Untergang der DDR betrauern diese drei ostdeutschen Frauen nicht. Früher war nicht alles besser, sagen sie, es war aber manches gut. Die Solidarität etwa, muss man heute fast retten, weil sie inzwischen ausgestorben scheint. Die drei wissen um Verluste, haben schon mal ein Land verloren, sind sensibler, wenn was erodiert. "Es gibt diesen einen wunderbaren Satz von Gerhard Gundermann", erzählt Annett Gröschner, "der gesagt hat, der Trabi und der Mercedes fahren auf den Abgrund zu. Der Trabi fällt halt nur schneller runter als der Mercedes - der fliegt noch eine Weile. Immer gehen Systeme unter. Die Frage ist halt: Was kommt danach? Und an welcher Stelle könnte man denn eigentlich auch relativ einfach was verändern?"
Verändern statt abwickeln, das kennt Annett Gröschner noch. Sie war in der DDR-Frauenbewegung aktiv, hat 89/90 mitgemischt. Die Forderungen von damals sind heute Vergangenheit oder doch noch aktuell? Im visionären Verfassungsentwurf, der die DDR erneuern und nicht abschaffen sollte, gibt es das Recht auf Wohnen. Heute ist dieser Wunsch durchaus vermisst, findet auch Peggy Mädler: "Eine Form der Privatisierung von Gemeineigentum, die in den 90er-Jahren natürlich in einem viel stärkeren Zug im Ostdeutschland passiert ist, betreffen mittlerweile aber alle. Was sollten unsere Städte und Kommunen besitzen? Was brauchen sie vielleicht auch, um gestalten zu können? Es ist nicht mehr eine Ost-Frage. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Frage, bei der man ein bisschen wieder mit Idealismus rangehen kann."
Botschaft der drei: Das Leben ist ein nimmer endender Widerspruch
Privatisierung von Wohnraum ist für sie Verrat am Sozialstaat schlechthin, der doch für alle Deutschen gilt. Sind die Dogmen des Kapitalismus so fatal wie die des Sozialismus? Ja, sagen sie und fordern statt einseitigem, gleichzeitiges Denken. Weniger Schwarz oder Weiß und nicht dieses moralisierende Positionieren, das heute jede öffentliche Debatte fast unmöglich macht. "Das, was uns an der Dialektik so gefällt, ist diese Form von "nach-Erkenntnis-streben", danach Widersprüche Auszuhalten und das auch auszuhalten, dass Dinge gleichzeitig sind, obwohl sie sich widersprechen", sagt Wenke Seemann.
Immer in Bewegung sein, nicht stehen bleiben, vor allem nicht im Kopf. Statt: "Sag mir, wo du stehst", wie im Agitatsionslied des Oktoberclubs, besser: "Versprich, dass du weiter gehst" - das ist ihr Plädoyer. Und sie finden, dass man es auch trainieren kann, wie beim Gummitwist. Dort springt man von These zur Antithese und zur Synthese - und dann wieder von vorn. Das ist die wichtigste Botschaft des Trios infernale: Das Leben ist ein nimmer endender Widerspruch ohne einfache Antworten. Das haben sie nicht vom Staatsbürgerkundelehrer aus ihrer Schulzeit gelernt, sondern von DDR-Literaten. Auch die feiern sie ihrem Buch. Da heißt es bei Werner Bräunigs "Rummelplatz": "Dennoch wusste man, dass all die zur Schau getragene Dauerhaftigkeit und Sicherheit bestenfalls eine schöne Illusion war in dieser Welt, deren einzig dauerhaftes Merkmal der Wechsel ist."
Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat
- Seitenzahl:
- 320 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Carl Hanser Verlag
- Veröffentlichungsdatum:
- 18. März 2024
- Bestellnummer:
- 978-3446279841