Ein Comic als Kunstwerk
Über sich selbst hat Stefan Zweig einmal gesagt, ihn interessiere das "Durcheinander im Zwielicht zwischen bewusst und unbewusst" und in seiner Autobiografie schrieb er von seiner "Liebe und Neugier für gefährdete Menschen".
2010 widmete sich der Franzose Laurent Seksik dem biografischen Roman "Vorgefühl der nahen Nacht" dieser Seite Stefan Zweigs und seiner letzten Tage vor seinem Selbstmord im brasilianischen Exil. Das Buch wurde ein Bestseller.
Ein Buch wie ein Film
Nun hat Seksik einen weiteren Text zum Selbstmord Zweigs und seiner jungen Frau Lotte geliefert - diesmal für eine Graphic Novel - zusammen mit dem Zeichner Guillaume Sorel. Herausgekommen ist dabei ein beklemmendes Buch über eine große Tragödie in traumhaft schönen Bildern.
Es beginnt wie ein Film: Die Skyline von New York am Horizont - Schnitt - das Kielwasser eines Schiffes - Schnitt - der Rücken einer Figur im weißen Anzug, der am Morgen des 15.04.1941 in das blassblaue Wasser schaut: Aufbruch, Abschied und die Verlorenheit eines älteren Mannes. Mit nur drei Bildern schafft es der Zeichner Guillaume Sorel, die melancholische Stimmung einzufangen, die Stefan Zweig schon einhüllte, als er seine letzte Reise von den USA nach Brasilien antrat.
Herrlich detailliert und großzügig platziert fließen Guillaume Sorels Tusche-Bildstrecken durch diese bedrückende Geschichte. Laurent Seksik liefert dazu einen angenehm sparsamen Text - teils aus bekannten Zitaten Zweigs, oder, wenn nötig, kurzen Dialogen mit seiner Frau Lotte.
Und immer wieder spielen diese, fast wie in einem Dokumentarfilm, vor der Kulisse von Zweigs Erinnerungen. Hier hat diese Grafic Novel ihre stärksten Momente. Etwa, wenn Lottes Stimme von Zweigs Werken schwärmt, während wir Bilder einer aufgehetzten Menschenmenge sehen. Im Kreis steht die tobende Masse um ein nächtliches Feuer und Männer mit Hakenkreuzen an den Ärmeln werfen Zweigs Bücher in die Flammen.
Verblassendes Leben
Der Rest der traurigen Geschichte ist bekannt: Zweig gleitet immer weiter in die Depression und nimmt sich zusammen mit Lotte ein halbes Jahr nach der Ankunft in Brasilien das Leben mit einer Überdosis Veronal. Hier bildhaft inszeniert durch verblassende Farben und Konturen und auf den letzten Seiten nur noch durch die Schemen zweier Gesichter, sich haltend und nah beieinander.
Das Innenleben Zweigs auf dem Weg in diese Tragödie ist die eigentliche Geschichte dieser Graphic Novel. Sein berühmter Abschiedsbrief findet sich deshalb auch bereits in der Mitte der Bildstory als Ergebnis einer einsamen Nacht am Schreibtisch, die mit einem zerknüllten Stück Papier endet:
Leseprobe:
"Nach dem 60. Jahre bedürfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen. Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus."
Dieses Buch ist sicher nichts für eine Erstbegegnung mit Stefan Zweig, dafür reichen die Bilder von Klimt-Zitaten bis zu Portraits von Freud und Rilke zu sehr in die Biografie des Literaten. Aber wer ein wenig über sein Leben weiß, wird die Autoren für ihre Liebe zum Detail und Einfühlsamkeit bewundern. Dass der Verlag ein großes, bildfreundliches und leinengebundenes Format gewählt hat, wird der Sache nur gerecht. Stefan Zweig hätte diesen - jawohl Comic - gemocht: Er ist ein Kunstwerk.
Die letzten Tage von Stefan Zweig
- Seitenzahl:
- 88 Seiten
- Genre:
- Sachbuch, Bildband
- Verlag:
- Jacoby & Stuart
- Bestellnummer:
- 978-394178778-0
- Preis:
- 24,00 €