Christoph Salchers "Ich und Kehlmann": Aufregendes Literaturpsychodrama
Christoph Salcher, ein 40-jähriger Lehrer aus Graz, hat jetzt sein Debüt vorgelegt. In Anlehnung an "Ich und Kaminski", einen frühen Roman von Daniel Kehlmann, heißt Salchers Buch "Ich und Kehlmann".
Ich fühlte mich wie der Cowboy der Literatur, als wäre ich Charles Bronson und die Mundharmonika mein Roman. Leseprobe
Und als wäre die menschenfeindliche Wüste im Wilden Westen die Halle 3 auf der Frankfurter Buchmesse: Hier wird, hier muss Epochales geschehen, eigens dafür hat Kevin Fellner die weite Reise von Zell am See nach Frankfurt auf sich genommen. Er wird der Weltöffentlichkeit seinen Roman "Ich und Kehlmann" vorstellen und damit den schon wankenden Kehlmann endgültig vom Thron stoßen.
Kevin, der Deutschlehrer aus der österreichischen Provinz, verachtet den Starautor - und sehnt sich zugleich nach Verschmelzung mit ihm.
Ich bin Daniel Kehlmann, dachte ich erregt, ich bin es, ich bin Daniel Kehlmann, ich bin es wirklich. Bloß wusste er gegenwärtig noch nichts von meiner aufsteigenden Gegenwart. Oder spürte auch er meine vibrierende Aura, unsichtbar, geisterhaft? Kaum zu fassen, trotzdem nicht zu leugnen? Fühlte er mein Kommen, meinen Aufstieg? Fühlte er mich? Daniel, dachte ich intensiv, fühlst du mich? Und spürte er seinen Fall? Sein Verschwinden, seine Auslöschung, verursacht durch mein Erscheinen?
Christoph Salcher spielt mit der fiktionalen Realität
In seinem fiebrigen Wahn ist sich Kevin ganz sicher, bestens vorbereitet zu sein auf den großen Moment, in dem er Kehlmann auf der Buchmesse den literarischen Todesstoß versetzt. Immerhin hat er einen Vertrag mit Rowohlt - Kehlmanns Verlag also - quasi schon in der Tasche. Das glaubt er jedenfalls; auch eine beklemmende Begegnung im Foyer seines Frankfurter Hotels holt ihn nicht in die Realität zurück.
Eigentlich wähnt er sich mit der einflussreichen Verlagsangestellten Judith Thurner verabredet, die aber schickt nur ihren Azubi Jürgen Schneider, der da mal etwas klarstellen soll.
Frau Thurner habe sich über mein aufdringliches Verhalten in den letzten Wochen, eigentlich Monaten, über alle Maßen geärgert. Man könne mich und meine Forderungen nicht mehr ernst nehmen, schon längst nicht mehr. Ich müsse mit den entsprechenden Konsequenzen, strafrechtlichen, betonte er, rechnen. Ich wurde aus dem Knaben nicht schlau. Er drückte sich viel zu vage aus, so dass die ganze Angelegenheit in Wahrheit doch bloß ein einziges großes Missverständnis sein konnte. Bestimmt war das hier sein allererstes Vertragsgespräch, er war nervös. Jürgen Schneider war jetzt noch meine allerletzte Hürde. Leseprobe
"Ich und Kehlmann" ist ein aufregend-groteskes Literaturpsychodrama
An dieser Stelle wäre Christoph Salcher, dem Autor dieses Romans, einer von ganz wenigen Mängeln vorzuhalten: Junge Menschen heißen wohl in Österreich noch "Jürgen", in Deutschland aber schon lange nicht mehr. Davon abgesehen (und davon abzusehen fällt leicht) ist dies ein aufregend-groteskes Literaturpsychodrama, und ein sehr vielschichtiges dazu.
Natürlich sind die Momente, in denen sich Kevins Besessenheit zuspitzt, immer auch sehr lustig, etwa wenn er im Hotelfoyer beobachtet, wie plötzlich Daniel Kehlmann aus dem Aufzug steigt.
Zielgerichtet schritt er wie auf Wolken schwebend hinüber zum Rezeptionsbereich. Ich wagte es kaum, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Doch auf halbem Weg blieb der Schriftsteller plötzlich stehen. Er kratzte sich mit allen fünf Fingern der rechten Hand an der gewölbten Stirn. So also schaut es aus, wenn Kehlmann nachdenkt. Seine linke Hand spielte ungeschickt mit seinem Zimmerschlüssel, als wäre er auch bloß ein Mensch. Er seufzte bloß ein einziges Mal, dafür umso lauter. Wir kämpften beide gegen unsere Gespenster. Leseprobe
Fulminantes Debüt für Christoph Salcher
Aber lustig ist ja bald mal etwas. Dieser Roman ist jedoch mehr als ein Spaß. Hier haben wir eine sprachlich feine, in den Anspielungen treffsichere und unheimlich fesselnde Geschichte über die Spannungen im Inneren eines Menschen, der sich etwas vorgenommen hat.
Literarisch charmant wäre es zwar, wenn wir nach diesem fulminanten Debüt niemals mehr etwas von Christoph Salcher hören würden – einmal alles aus sich herausgeschrieben und jetzt wieder und für immer unwillige Schulklassen unterrichten, das hätte Stil. Zugleich aber steht fest: In der Welt der Bücher können er und Kehlmann gut und gern koexistieren.
Ich und Kehlmann
- Seitenzahl:
- 280 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Milena Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-903460-14-0
- Preis:
- 24,00 €