Amy Cutler. Turtle Fur
Englische Originalausgabe
Das Buch irritiert - und beglückt, denn es ist wunderbar eigenwillig. Erst meint man, nicht richtig zu sehen - und dann hat einen die rätselhafte Bilderwelt der Amy Cutler schon in ihren Bann gezogen, der Hatje Cantz jetzt einen ersten, umfangreichen Bildband gewidmet hat. "Turtle Fur" heißt das englischsprachige Buch. Annette Schneider stellt es vor.
Leseprobe:
Frauen in bunten Kleidern fällen mit großen Biberzähnen Bäume und bauen aus den Stämmen einen Damm. Sie schneiden mit Sichelschuhen Schilf, und lassen auf einer Achterbahn Loren mit frischem Piniengrün fahren, damit sich der Duft in alle Himmelsrichtungen verteilt.
Konzentration aufs Wesentliche
In fein getuschten Gouachen entwirft Amy Cutler rätselhafte Szenerien, in denen sich Frauen sehr konzentriert eine eigene Welt schaffen - ohne Ausbeutung von Mensch und Natur, Börsennotierungen und Wichtigtuerei - und ohne Männer.
Leseprobe:
Ich liebe die Vorstellung von einer Utopie starker, selbständiger Frauen. (...) Ich besuchte eine öffentliche High-School für Mädchen. (...) Im Rückblick denke ich: Die Abwesenheit von Jungs an der Schule war Grund für die stärkere Individualität der Mädchen. Wenn ich an meine Mitschülerinnen denke, denke ich mehr an ihre Persönlichkeit und ihre Interessen, als daran, mit wem sie ein Date hatten oder welche Klamotten sie trugen.
Schnappschüsse eines großen Ganzen
So erzählt Amy Cutler in dem Bildband. 1974 im Staat New York geboren und heute in Brooklyn lebend, blicken ihre Frauen stets streng, nach innen gekehrt - so wie man guckt, wenn man sehr konzentriert arbeitet. Oder nützliche Dinge erfindet, wie Sichelschuhe und extravagante Schwimmanzüge.
Stets setzt Amy Cutler ihre Frauen auf schlichtes, weißes Papier. Hintergründe gibt es nicht.
Amy Cutler: "Hintergründe lenken ab von der Strenge und Absicht des Erzählten. Durch das Entfernen des Hintergrunds erhalten die Figuren Raum zum Atmen. Jetzt können sie sich frei bewegen, und sich dem anpassen, was der Betrachter imaginiert. - Ich stellte mir Performerinnen auf einer Bühne vor. Ich wollte keine ganze Geschichte erzählen. Ich verstand sie mehr als Schnappschüsse eines großen Szenarios."
Gleichzeitig erhöht der weiße Bildgrund die dargestellten Geschehnisse zu Sinnbildern gesellschaftlicher Sehnsüchte, Utopien und Erfahrungen. So zeigt Cutler auf einigen Blättern verletzte Tiger, die sich im Schutz hohen Steppengrases zu einer Gruppe Frauen geflüchtet haben, die die Raubtiere vorsichtig wieder zusammennähen.
Leseprobe:
Ich entdeckte in einem Buch die Geschichte einer Tigerjagd. Es war 2003, im Hintergrund spielte das Radio. Die USA überfielen gerade den Irak, und ich hörte das eine - während ich das gleiche auf den Bildern sah. So wurde für mich der Tigerkampf ein Kampf um Territorium.
Eine Meditation über Lebensformen
Inspiriert sind Amy Cutlers anrührende, irritierende, stets wunderbar eigenwillige - und im Buch hervorragend gedruckte - Bilderwelten auch von indischer Miniaturmalerei.
Leseprobe:
Sie zu betrachten war für mich wie Zeit mit der Zeit zu verbringen: Es wurde eine Art visueller Meditation.
Genau das ermöglichen auch Cutlers Arbeiten: In unserer hektischen, schnelllebigen und lauten Welt zwingen ihre Szenerien den Betrachter, genau hinzugucken, und sich einzulassen auf die Geschehnisse, die zu bedenken geben, dass auch andere Lebensformen denkbar sind, als die bestehenden.
Amy Cutler. Turtle Fur
- Seitenzahl:
- 176 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Hatje Cantz, 176 Seiten mit 80 Abbildungen
- Bestellnummer:
- 978-3775728096
- Preis:
- 39,80 €