"Amor gegen Goliath": Sprachspielerisches Meisterwerk von Frank Schulz
Lange war von Frank Schulz nichts zu hören beziehungsweise zu lesen. Doch jetzt ist sein 750 Seiten starker Roman "Amor gegen Goliath" erschienen. Es geht um den Klimawandel, zwei Männer, eine Frau - und die Liebe.
Ein Gegenwartsroman, wie man ihn sich gegenwärtiger kaum vorstellen kann. Wenn man sich irgendwann mal fragt: Was war denn bloß los mit den Leuten in den frühen 20er-Jahren, warum waren sie immer so angespannt und so ängstlich, warum hat der Liebreiz zwitschernder Vögel sie nicht mehr erreicht - dann wird dieses Buch als erstklassige Quelle dienen.
"Amor gegen Goliath" verhandelt die Themen unserer Zeit
Als Gretchenfrage unserer Zeit hat sich längst, so lesen wir’s an einer Stelle, diese herauskristallisiert: "Wie hast du’s mit dem Klimawandel? Do you panic?". Ricky Kottenpeter, Komponist zum einen in tiefer Schaffenskrise, zum anderen in Osnabrück, antwortet ohne zu zögern: Ja, unbedingt - sowieso und ganz konkret!
Nicht ungewöhnlich, dass Ricky Kottenpeter seinen Leib als Instrument des Satans empfindet. Ständig plagen ihn Ohrwürmer und -geräusche… doch dieses tief schürfende Bassmotiv des Grauens, das ist noch mal etwas ganz anderes. Das ist existenziell. Das ist das seelische Äquivalent zu Atemnot bei Herzinfarkt. KLIMA, KLIMA, KLIMA, KLIMA. Wann immer ihm in Sachen KLIMA eine Hiobsbotschaft um die Ohren gehauen wird, setzt ein Symptomschub ein, untermalt vom Bassmotiv des Grauens. Zeit seines Lebens ist es umgekehrt gewesen: hin und wieder ein Albtraum, beim Erwachen die Erleichterung. Was für Zeiten, in denen der Albtraum nach dem Erwachen beginnt. Leseprobe
Unterdessen arbeitet im zweiten Erzählstrang, der weitgehend in Hamburg spielt, der prinzipiell lebensfreudigere Journalist Philipp Büttner daran, sich einen großen Liebestraum zu erfüllen, eine Ménage-à-trois. Aber irgendwie ist die frühlingsduftende Heiterkeit von einst dahin. Wenn's bloß die Verheerungen des Klimas allein wären - schlimm genug, aber vielleicht irgendwie noch verdrängbar. Corona aber und der ganze Verschwörungsquatsch, der Rechtsruck und die Zerbröselung des Individuums in den sozialen Medien, die immer heftigeren Deutungskämpfe ums moralisch ganz Richtige oder abgrundtief Falsche geben einem doch den Rest. Zu alldem hat Kottenpeter als Wahlzusatzleistung noch eingebildetes Liebesleid im Repertoire. Seine Gefährtin Cathrin, Aktivistin in der Osnabrücker Ortsgruppe von "Everyday for Future" - hintergeht sie ihn etwa? Dabei ist sie doch immer für ihn da, sogar öfter als immer:
Derartige energetische Schübe seiner Frau zur Unzeit, er ist ihnen immer weniger gewachsen. Wenn er nicht aufpasst, verwickelt sie ihn bereits an Montagen um sechs Uhr fünfundvierzig in Debatten über Anti-Gendergaga-Gaga. Desgleichen um zweiundzwanzig Uhr dreißig, denn anstatt sich dem Ende des Tages zu ergeben, muss sie sich von der Nacht besinnungslos hauen lassen. (…) Du kannst niemanden wecken, der nur so tut, als ob er schläft. Der träumende Kottenpeter aber tut nur so, als täte er nur so, als ob er schläft. Leseprobe
Frank Schulz spielt mit der Sprache
Vielleicht geht aus diesen kurzen, allzu kurzen Ausschnitten - etwas unsanft entrissen einem riesigen, fast 800 Seiten starken, kaum je nacherzählbaren Kunstwerk - schon hervor, wer der eigentliche Protagonist ist: Es ist die Sprache, die Wundertäterin Sprache, mit der Frank Schulz tanzt und spielt, Schabernack treibt und Trost verschenkt - seinen Figuren, der Leserschaft, natürlich auch sich selbst.
"Ich bin erst neulich wieder auf dem Weg in die Stadt an einem Busstopp vorbeigekommen, wo ein mittelalter Mann saß, eine Dose Bier in der Hand, und wie ein Rohrspatz fluchte", erzählt Schulz. "Was ich so im zweisekündigen Passieren mitgekriegt hatte, schien er mir eines Tages Fußballtrainer gewesen zu sein und schimpfte jetzt seine Mannschaft aus, dass sie nicht mehr zu ihm hielt. Er hat überhaupt nichts mitbekommen, dass irgendwer an ihm vorbeigegangen ist, er ist auch nie in den Bus eingestiegen. Was ist das anderes als die letzte Zuflucht vor der totalen Verzweiflung?"
Rank und schlank von der überdachten Plattform des Häuschens herabbaumelnd, machte sich ein rothaariges Eichhörnchen kopfüber an den Futterbällchen zu schaffen, indem es mit den Krallen die Netze zerfetzte und reinhaute wie ein Scheunendrescher. Kottenpeter klatschte in die Hände und kläffte: "Gleich hat der Arsch aber Kirmes!" Leseprobe
Arsch und Gemüt und Kopf und Herz - sie alle haben Kirmes in diesem Meisterwerk von Frank Schulz.
Amor gegen Goliath
- Seitenzahl:
- 752 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Galiani
- Bestellnummer:
- 978-3-86971-237-6
- Preis:
- 32 €