Bénédicte Savoys "Bildatlas" über Kunstraub

Stand: 06.06.2023 12:30 Uhr

2018 hat Bénédicte Savoy in Berlin eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich dem Kunstraub gewidmet hat. Dabei sind zwei stattliche Bände entstanden: ein Bildatlas und die Anthologie "Beute".

von Jürgen Werth

Was passiert, wenn die Ausgräber eine Pause einlegen? Der Grabungsstelle, die sich keinen Werkschutz leisten kann, nähern sich Zaungäste. Menschen aus der Nachbarschaft, die einfach nur große Augen machen: Der steinerne Kopf eines legendären Königs ist zu sehen, ausgegraben. Bald würde der Königskopf verschwinden und sich nach einer Schiffsfahrt in London wiederfinden - im British Museum.

Diese "Begegnung mit der eigenen Geschichte - 1849" gehört zum Kapitel "Transportieren". Ein anderes Bild zeigt ein Relief, auf dem Römer zu sehen sind, die Beutestücke aus Jerusalem in Bewegung setzen. "Schwergewichtige Symbolik. 81 nach Christus". Thema: "Aneignen".

Viele Facetten bei Kunstraub und Kulturerbe

Ein drittes Bild zeigt eine feierliche Zeremonie unter dem freien Himmel von Kamerun. Da gerade Kaiserwetter herrscht, überreicht Kaiser Wilhelm II. einem afrikanischen König einen Öldruck. Ein diplomatisches Geschenk. Titel: "Gaben tauscht man auf Augenhöhe aus! 1905/06". "Tauschen, Handeln" heißt diese Untergruppe.

Drei Facetten von dem, was zum "Beute"-Kosmos gehört. Bénédicte Savoy kennt die Vielfalt des Themas. Sie weiß, dass es sich bei Kunstraub und Kulturerbe um viel mehr handelt als um ein Kapitel aus der Verbrecherkartei, Abteilung "Überfälle und Einbrüche": "'Beute' ist ein sehr starker Begriff", findet Savoy. "In Wahrheit gibt es nicht 'Beute' oder 'Nicht-Beute'. Es gibt sehr viele Graustufen dazwischen. Und diese vielen Bilder und Texte, die wir gesammelt haben, die wir in den Büchern kommentiert haben, zeigen uns die verschiedenen Varianten des Nehmens: Erbeuten, Kaufen unter nicht lauteren Verhältnissen und so weiter."

Bildatlas hilft, Denkbarrieren abzubauen

Denkbarrieren abbauen - dabei kann der Bildatlas helfen. Und es kann dabei behilflich sein, wenn der Hochmut vom hohen Ross steigen möchte: "Es gibt ja diese Arroganz der europäischen Museen", stellt Savoy fest. "Die europäischen Museen nennen das 'Deutungshoheit' oder haben das Gefühl, dass nur sie die Objekte wissenschaftlich, technologisch, öffentlichkeitswirksam korrekt aufbewahren können. Dieses Monopol der Deutungshoheit oder dieses Gefühl, dass man alles besser kann, ist sehr prägend. Erst jetzt entsteht langsam eine neue Sichtweise."

In den restlichen Kapiteln geht es um "Gedenken", um "Protestieren" und schließlich um "Zurückgeben". Dass dieses Trio heute mehr als ein frommer Wunsch ist, das beweist die Auseinandersetzung um die Masken aus Benin aus dem Jahr 2022: "Wenn so ein historisches Ereignis kommt wie 2022 - es wird etwas zurückgegeben - dann ist das ein Moment in einer sehr langen Geschichte. Und wir fühlen uns wie die Akteure dieser Geschichte - als Wissenschaftler. Das ist ein gutes Gefühl", so Savoy.

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Eine Weltreise, bei der es auch etwas zu lachen gibt

Der Bildatlas hat noch mehr zu bieten als ein gutes Gefühl. Er ist eine Einladung zu einer Weltreise durch ein Gelände, bei dem es auch etwas zu lachen gibt. Eine Verbeugung vor der "Fröhlichen Wissenschaft" - am schönsten der Cartoon aus dem Magazin "The New Yorker" aus dem Jahr 2018: Eine Museumsführerin zeigt Kindern einen Raum mit ethnologischen Objekten wie Masken und Tierköpfen. Gleich darauf die Abteilung Moderne. Bei Auktionen ein Fall für die Scheckhefte. "Wir verlassen jetzt den Raum der Sachen, die wir anderen Kulturen gestohlen haben, um den Raum zu betreten, in dem die Sachen sind, für die wir zu viel bezahlt haben." Eine Hochleistung in der Kunst der Überleitung.

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Beute. Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe

Seitenzahl:
389 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Matthes & Seitz
Bestellnummer:
978-3-75180-311-3
Preis:
38,00 Euro €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 06.06.2023 | 18:45 Uhr

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