Stand: 17.11.2016 17:24 Uhr

Warum Vorlesen so wichtig ist

von Barbara Ketelhut und Katharina Mahrenholtz, NDR Info

Wo bleiben bei all den düsteren Nachrichten über die Krisen der Welt die Lösungsansätze, die Beispiele, wo etwas richtig gut läuft? Genau solche Perspektiven wollen wir bei NDR Info verstärkt aufzeigen. Anlässlich des bundesweiten Vorlesetages, der jedes Jahr von der Wochenzeitung "Die Zeit", der Stiftung Lesen und der Deutsche Bahn Stiftung durchgeführt wird, wollen wir auf die Lesekompetenzen bei Kindern schauen. Und die ist schlecht, wie wir seit dem PISA-Schock von 2001 wissen. Wie hat sich das Leseverhalten und die Lesekompetenz von Jugendlichen entwickelt?

Die Lage

Ein Mädchen umgreift einen hohen Stapel mit Büchern. © fotolia.com Foto: photophonie
Kinder, denen viel vorgelesen wird, lesen später auch selbst häufiger, lieber und länger.

In Deutschland wird nicht genug vorgelesen. Das jedenfalls sagt die Stiftung Lesen. Sie fordert, dass jeden Tag 15 Minuten vorgelesen werden soll. Das aber schaffen fast ein Drittel der Eltern nicht. Positiv ist allerdings, dass sich fast die Hälfte aller Kinder zwischen zwei und fünf Jahren täglich mit Büchern beschäftigen.

Wird Kindern vorgelesen, lesen sie später häufiger, lieber und länger selbst. Sie profitieren nicht nur in der Schule davon, auch in ihrer persönlichen Entwicklung bringt das Lesen sie voran.

Wer liest vor?

Klassischerweise lesen die Mütter vor - und zwar fast alle. Dagegen allerdings nur 39 Prozent der Väter.

Wie ist die Lesekompetenz in Deutschland bei Schülern?

Knapp 15 Prozent der 15-Jährigen haben Probleme beim Lesen und Schreiben. Zudem ist die Zahl der Nichtleser nach wie vor unverändert hoch: Elf Prozent der Mädchen und 22 Prozent der Jungen lesen gar keine Bücher. Andererseits lesen 83 Prozent der unter 13-Jährigen regelmäßig Bücher.

Was hat sich seit dem PISA-Schock 2001 getan?

In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Lesekompetenz der Kinder und Jugendlichen in Deutschland zwar leicht verbessert, dennoch ist die Zahl der Nichtleser mit knapp einem Drittel gleichbleibend hoch. Mit Spannung werden Anfang Dezember die Ergebnisse der neuesten PISA-Studie erwartet. Dann kann man sehen, wie sich die Zahlen in den vergangenen vier Jahren entwickelt haben.

Die Perspektive

In Hamburg gibt es ein besonderes Projekt zur Leseförderung. NDR Info stellt es an dieser Stelle vor.

Eine Mutter liest ihren drei Kindern aus einem Buch vor. © dpa picture alliance Foto: fotototo
Wer seinen Kindern 15 Minuten pro Tag vorliest, trägt sehr zu ihrer Leseförderung bei.

Die neunjährige Cynthia ist vor einem Jahr mit ihrer Familie aus Syrien nach Hamburg gekommen. Von einem Tag auf den anderen saß sie in einer deutschen Grundschulklasse und musste die neue Sprache lernen. Dabei geholfen hat ihr von Anfang an Schirin Fathi vom Verein Mentor. Einmal pro Woche trifft sie sich mit Cynthia und liest mit ihr zusammen. "Als erstes konnte ich das nicht so gut. Dann ist es richtig viel besser geworden", erzählt Cynthia stolz.

Inzwischen spricht sie fast akzentfrei und kann auch schon sehr gut lesen. Aber bei einigen Wörtern und Redewendungen muss sie fragen. Was heißt "tätscheln" oder "die Wette gilt"? Schirin Fathi erklärt ihr alles geduldig und einfühlsam.

Bedürfnisse der Lesekinder sind unterschiedlich

60 Prozent der Lesekinder, die der Verein Mentor betreut, haben einen Migrationshintergrund, sagt Elke-Maria Kramer, stellvertretende Vorsitzende des Vereins. Aber auch viele deutsche Kinder nehmen an dem Programm teil. "Das sind häufig Kinder, die in einem Milieu aufwachsen, wo es so gut wie keine Bücher gibt. Und wo auch nie vorgelesen wird." Die Bedürfnisse der Lesekinder sind unterschiedlich. Manche brauchen - wie Cynthia - Hilfe in der neuen Sprache. Andere genießen einfach die extra Portion Zuwendung. "Viele Kinder empfinden diese eine Stunde als Geschenk", meint Elke-Maria Kramer, "selbst wenn sie gar nicht so gern lesen. Man kann auch reden oder Sprachspiele machen."

Durchweg positive Rückmeldungen

In Hamburg betreuen 800 ehrenamtliche Mentorinnen und Mentoren 1.000 Lesekinder. Dabei arbeiten sie mit Grundschulen zusammen, die die Kinder vermitteln, einen Raum stellen, den Kontakt zu den Eltern herstellen und auch Rückmeldungen geben. Und die sind durchweg positiv. Bei den teilnehmenden Kindern steigt die Lust am Lesen, sie erweitern ihren Wortschatz und verbessern ihre schulischen Leistungen.

Ein Sticker für den Lesepass

Schirin Fathi ist seit knapp sechs Jahren dabei. Die studierte Islamwissenschaftlerin hat ganz bewusst eine ehrenamtliche Tätigkeit gesucht, die sie neben ihrem Beruf ausüben kann. Nicht alle Lesekinder waren so leicht zu motivieren wie Cynthia, erzählt sie: "Andere Kinder muss man erst motivieren und dabei auch ein bisschen tricksen. Cynthia ist immer begeistert." Tatsächlich strahlt das Mädchen und liest mit Feuereifer mehrere Seiten aus dem Buch "Die wilden Küken" vor. Als die Stunde vorbei ist, will Cynthia Schirin Fathi gar nicht gehen lassen.

Die Mentoren werden oft zu wichtigen Bezugspersonen, vor allem, wenn sie auch Ausflüge mit den Kindern machen - ins Theater oder ins Kino zum Beispiel. Am Ende jeder Stunde darf Cynthia einen Sticker in ihren Lesepass kleben. Wenn alle 20 Felder voll sind, bekommt sie eine Urkunde. "Heute nehme ich eine Bombe." Eine Bombe? Schirin Fathi ist kurz irritiert. "Ah, das ist keine Bombe, sondern eine Boje!" Wieder ein neues Wort gelernt!

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 18.11.2016 | 08:55 Uhr

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