"Trauer unter Kontrolle": Buch über den Flugzeugabsturz 1986 in Berlin
Vor rund 40 Jahren stürzte ein Flugzeug bei Berlin ab. Unter den Opfern: eine Schulklasse aus Schwerin. Ein neues Buch blickt auf die Geschehnisse.
"Wir haben als Passagiere den hier beschriebenen Flugzeugabsturz überlebt. Wir danken allen, die uns damals geholfen haben und allen, die uns heute unterstützen." Diese Sätze stehen auf dem Cover des neuen Buches "Trauer unter Kontrolle". Es beschäftigt sich mit dem Unglück, das am 12. Dezember 1986 viele Menschen erschüttert hat. Eine Maschine aus Minsk stürzte in Bohnsdorf bei Schönefeld ab. An Bord des Flugzeugs befand sich eine Reisegruppe von Jugendtourist, der 27 Schüler einer Oberschulklasse aus Schwerin und drei Begleiter angehörten. Filmemacher Matthias Baerens ist Autor des neuen Buches - ein Gespräch.
Fast 40 Jahre nach dem Absturz: Warum das neue Buch?
Matthias Baerens: Das hat eine Vorgeschichte: Ich habe ja mal mit einem Kollegen zusammen für den NDR einen Dokumentarfilm gemacht mit dem Titel "Systemversagen". Und bei diesen Recherchen kam mir unglaublich viel Material in die Hände und vor die Augen. Zudem habe ich Geschichten von Leuten gehört, bei denen ich gedacht habe, die muss man eigentlich aufschreiben und richtig gut dokumentieren. Das hat jetzt ein paar Jahre gedauert.
Kannst Du uns eine dieser Geschichte erzählen?
Baerens: Da fallen mir spontan mehrere Geschichten ein. Was ich sehr berührend fand: Vor ein paar Jahren hat sich bei mir zum Beispiel ein Sohn eines der Besatzungsmitglieder aus Minsk gemeldet. Er hat dann tatsächlich für das Buch seine Geschichte aufgeschrieben, was dort in Minsk los war und wie dort getrauert wurde, denn die gesamte Besatzung ist ja auch ums Leben gekommen. So gibt es in dem Buch über 20 Berichte von Zeitzeugen und Betroffenen, die ihre Geschichte aufschreiben. Aber auch Eltern, die Kinder verloren haben, oder Ermittler, die an dem Unfall ermittelt haben.
Gab es bei den Recherchen auch Menschen, die das Thema nicht mehr ansprechen wollten?
Baerens: Ja, natürlich. Ich hatte heute gerade ein krasses Telefongespräch. Ich habe den damaligen Oberbürgermeister von Schwerin angerufen, Dr. Helmut Oder. Den habe ich die letzten Jahre immer mal wieder angerufen. Er hat damals auf dieser Trauerfeier in Schwerin die Rede gehalten und musste das alles mit den Beerdigungen und den Familien organisieren. Ich habe ihn gefragt, ob er nochmals über dieses Thema reden möchte? Und es kam wieder die ganz klare Antwort: Nein, ich will nicht. Das finde ich total schade an der Stelle.
In dem Buch hat ein relativ hochgestellter Ermittler der Staatssicherheit dagegen gesagt, okay, ich schreibe meine Geschichte auf, wie ich damals dort ermittelt habe - da ging es um die Unfallursachen. Es ist eine sehr individuelle Entscheidung, zu sagen, ich will dazu beitragen, aufzuarbeiten oder zu sagen: Nein, ich ziehe mich zurück.
Warum war es der Partei- und Staatsführung so wichtig, die Kontrolle zu behalten - eben die Trauer zu kontrollieren?
Baerens: Es muss da eine unglaubliche Angst und Paranoia geherrscht haben, dass sich die Betroffenen in irgendeiner Form antisowjetisch äußern. Wir haben ja in Schwerin eine besondere Situation gehabt: Die Stadt war komplett mit sowjetischen Soldaten umgeben. Es gab haufenweise militärische Einrichtungen in Schwerin - auch direkt an dem Wohngebiet , wo die Schüler herkamen - dem Großer Dreesch. Gleich gegenüber war eine große Kaserne. Noch bevor die Eltern und Angehörigen erfahren haben, ob ihr Kind betroffen war oder nicht, ist die Staatssicherheit in die Betriebe der Eltern rein, hat sich dort die ganzen Personalunterlagen angeguckt. Sie haben Gefährder-Analysen gemacht - von denen, die Opfer sind, um rauszukriegen, wer könnte sich vielleicht in den nächsten Tagen antisowjetisch äußern.
Da kam es immer wieder zu Eingriffen des Staates, in individuelle Trauerprozesse.
Baerens: Das sagt dieser Titel auch, "Trauer unter Kontrolle". Im Buch sind mehrere Beispiele von Eltern drin, die versucht haben, auf Schadensersatz gegen Aeroflot zu klagen. Das hat die Staatssicherheit im Hintergrund gestoppt.
Du beschäftigst dich mit diesem Thema schon sehr lange. Gibt es etwas, was dich antreibt?
Baerens: Ich habe damals hier in Schwerin gewohnt. Ich war vielleicht zwei, drei Jahre älter als die Schüler, die es damals betroffen hat. Ich habe diese Zeit noch im Gefühl, aber ich habe keine direkten Freunde oder Familienangehörige verloren. Das hat es mir in der Folge sehr erleichtert, weit genug weg zu sein und trotzdem dicht genug dran zu sein. Und, ich hatte es vorhin schon gesagt, irgendwann sind die Geschichten zu mir gekommen. Am Anfang von Recherchen ist das so: Man baggert und baggert und freut sich, wenn man irgendjemanden trifft, der einem etwas erzählen kann. Jetzt ist es eigentlich so, dass ich alle zwei, drei Wochen eine lange E-Mail von jemandem bekomme, mit dem ich keinen Kontakt hatte und der mir auch wieder eine Geschichte erzählt.
Gibt es möglicherweise noch ein nächstes Buch?
Baerens: Nein , das habe ich jetzt an der Stelle nicht vor, nein.
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