"Mixing Up the Medicine": Ein Überblick über das Schaffen von Bob Dylan
Ein dicker Bild- und Textband zeigt die ganze Vielfalt des Bob Dylan-Archivs: "Mixing Up the Medicine" verspricht unveröffentlichte Fotos und Zeugnisse von 1941 bis heute - eine Fundgrube für Fans.
Der Sänger und Songschreiber Bob Dylan hat längst die kulturelle Bedeutung erlangt, dass sein Werk auf Konferenzen diskutiert und mit wissenschaftlichen Methoden erforscht wird. Als Zentrum dieser Forschung dient seit 2016 das Bob Dylan-Archiv in Tulsa/Oklahoma. Dort wird Dylans Vorlass aus Manuskripten, Film- und Ton-Aufnahmen, Fotos und vielem mehr aufbewahrt und in Ausstellungen öffentlich zugänglich gemacht. Die ersten Zeilen aus dem Song "Subterranean Homesick Blues" - "Johnny’s in the basement / mixing up the medicine" - haben dem voluminösen Band seinen Namen gegeben. Und was die Herausgeber da zusammengemixt haben, ist vielleicht keine Medizin, aber auf jeden Fall ein Seele und Geist stärkender Stoff.
Wie sind Bob Dylans Songs entstanden?
608 Seiten über ein mehr als 6.000 Manuskripte umfassendes Archiv. Entwürfe zu Songs, mit Hand geschriebene Notizbücher, hingeworfene Textideen, schreibmaschinen-getippte Blätter, die verraten, wie Dylans "lyrics" allmählich entstanden sind. Dazu selten oder nie veröffentlichte Fotos, Plakate, Filmstills, kurz: ein Überblick über das Schaffen des Literaturnobelpreisträgers zwischen zwei Buchdeckeln, wie ihn sonst nur die Dauerausstellung im Bob Dylan-Archiv selbst bietet.
Wie also sind Robert Zimmermans Songs entstanden? Wieviel Text war spontan da, als Geistesblitz, der über die Hand aufs Papier gelangt, und wo war harte Arbeit, war Feilen an einzelnen Passagen oder Versen nötig?
Das Beispiel "Subterranean Homesick Blues" - ein Song, über den Pop-Historiker heutzutage diskutieren, ob er vielleicht als Vorläufer des Rap durchgehen könne -, lässt einen staunen: Der maschinengeschriebene Text ist beinahe fertig, nur einzelne Verse lauten in der später von Dylan aufgenommenen Version anders, sind besser geworden. "Man in the trench coat / badge out laid off / says he’s got a bad bill / wants to get paid off" heißt es ursprünglich, mit den Vers-Enden "trench coat", "laid off", "bad bill" und "paid off". Die überarbeitete Textfassung der Aufnahme hat einen Endreim mehr. Der Typ mit der "bad bill", faulen Banknote, hat nun einen "bad cough", bösen Husten. "Trench coat", "laid off", "bad cough", "paid off" klingt mit seinem dreifachen "off-cough-off" noch drängender. Und wer mag, kann aus diesem Reim sogar den Husten heraushören.
"Mixing Up the Medicine": Eine Fundgrube für Fans
Wer sich an dieser Stelle nun langweilt und denkt: "Puh, Textarbeit an Manuskripten?" - für den ist das Buch sicher nichts. Man kann ja auch Dylan-Songs mögen und dennoch ein Druckwerk mit Handschriften, Zeichnungen, Plattencover-Entwürfen und Briefen zu viel des Guten finden.
Umgekehrt ist klar: So wie sich Forscher über Manuskripte der Droste und über handschriftliche Partituren Beethovens beugen, um zu erfahren, wo gestrichen, verändert, herumgekritzelt und variiert worden ist, so werden es auch Forscher und Fans mit dem Werk des Sängers, Songschreibers und Literaten Dylan tun. Für echte Forschung ist "Mixing Up the Medicine" natürlich viel zu dünn und zu eklektisch geraten. Und manche Artikel der Autoren bieten eher Bewunderungsgeschreibsel als erhellende Interpretationen. Und doch ist der Band für Fans eine Fundgrube.
Zum Beispiel bei "Not Dark Yet", einem der schönsten Songs, die Dylan je geschrieben hat. Auf einem säuberlichst handbeschriebenen Blatt Papier dichtete der Songschreiber: "I feel like my soul has been turned into steel / there’s a gentle wind blowing but it doesn’t seem real". Auf Platte singt er jedoch die Reimzeile: "Feel like my soul has turned into steel / I’ve still got the scars that the sun didn’t heal".
Aus dem sanft wehenden Wind, der unwirklich wirkt, sind auf einmal bleibende Narben geworden, die die Sonne nicht heilen konnte - die ganze Anmutung des Songs ist dadurch noch etwas düsterer geworden.
Gratulationen von Bruce Springsteen
Solche Entdeckungen in den Manuskripten machen Spaß. Es fühlt sich an, wie im Leseraum eines Archivs zu sitzen, eine graue Pappschachtel vor sich, der man einzelne Blätter, spiralgebundene Notizhefte oder lose Briefe entnehmen darf und nun zu stöbern beginnt; hier lesend hängenbleibt, dort weiterblättert, plötzlich überrascht innehält: Da gratuliert Bruce Springsteen Dylan per Grußkarte zu seinen Memoiren "Chronicles - Volume One" mit den Worten: "Es ist ein schönes Buch, und wie üblich hast Du dafür gesorgt, dass wir anderen uns anstrengen müssen, da mitzuhalten."
Bob Dylan: Mixing Up the Medicine
- Seitenzahl:
- 608 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Droemer Knaur
- Bestellnummer:
- 978-3-426-27915-1
- Preis:
- 98 €