Sendedatum: 13.07.2014 17:40 Uhr

Entdeckte Persönlichkeiten

von Annemarie Stoltenberg

Gisèle Freund, eine aus Berlin stammende Fotografin, gehörte zu den besten Fotografen des 20. Jahrhunderts. 1908 wurde sie als Jüdin geboren, verließ 1933 Deutschland, ging zunächst nach Frankreich, dann Argentinien und Mexiko.

Erst 1953 kehrte sie nach Paris zurück, da hatte sie schon die Stars der internationalen Kunst-, Philosophen- und Literatenszene fotografiert. Nun ist ihr in der Akademie der Künste in Berlin eine Ausstellung gewidmet und im Nicolai Verlag ist der Katalog zur Ausstellung erschienen.

Auf dem Buchumschlag sehen wir die berühmte Malerin Frida Kahlo, schön wie eine aztekische Prinzessin in einem festlich weißen Kleid, madonnenhaft hochgestecktes Haar, in ein feuerrotes Schultertuch gehüllt, füttert sie gerade die Enten in ihrem Hausgarten, eine kleine Fruchtbarkeitstatue steht neben ihr.

Fotos machen Persönlichkeit sichtbar

Das Bild wirkt wie ein Gemälde und es ist eindeutig eines dieser Fotos von Gisèle Freund, das man im Kopf hat, wenn man an Frida Kahlo denkt. Gisèle Freund hat für unsere Generation die wichtigsten Künstler und Philosophen so fotografiert, dass wir uns an sie eben genau mit ihren Fotos erinnern.

Simone de Beauvoir, ein wenig schüchtern mit dem Trümmerfrauentuch halb über den Ohren, schlicht und einfach gekleidet, gänzlich uneitel, unkokett wirkend oder mit der Seidenjacke aus China zurück gekehrt, am Schreibtisch sitzend. Oder leicht verlegen neben Jean-Paul Sartre, er mit der Pfeife im rechten Mundwinkel und unglaublichen Schielaugen hinter einer dicken Hornbrille. Man ahnt geradezu, wie das Äußere vergessen sein wird, sobald er sprechen wird. 

André Breton posiert in seiner Wohnung wie ein Napoleon vor einem Gemälde von Salvador Dali, Nabokov, gekleidet wie ein Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes macht sich Notizen in einem Park stehend.

Aufsehend erregend waren Freunds Bilder von Evita Peron, glamourös, jung, schön, gefühlvoll. Auf den Bildern von Gisèle Freund schimmert ihre Herkunft aus ärmlichsten Verhältnissen durch, wenn sie vor ihrer Hutsammlung posiert oder über ihre Pelze streicht, als könne sie beim Blick in den Spiegel noch immer nicht glauben, dass ihr dieser Aufstieg gelungen sei. Der argentinischen Regierung gefielen diese Bilder nicht, bei einer Dokumentation wurden sie ausgetauscht.

Fotografin als Sozialfigur

Die Herausgeber des Bildbandes Gisèle Freund: "Fotografische Szenen und Porträts" sind der Fotospezialist Janos Frecot und die Kunsthistorikerin Gabriele Kostas. Sie ermöglichen einen neuen Blick auf das bekannte Werk von Gisèle Freund.

Ausstellung und Katalog wurden durch die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur ermöglicht. Der Vorstand der Stiftung - Jan Philipp Reemtsma - ist begeistert von den Hintergrundessays im Katalog: "Dieser Katalog ist eben kein Katalog. Es ist eben ein Buch über Gisèle Freund. Es ist selber eine fotohistorische Arbeit, die diese Ausstellung dokumentiert. Aber diese Ausstellung ist nicht einfach eine Werkschau oder ähnliches, sondern sie liefert eine Analyse der besonderen Art und Weise der Porträtfotografie von Gisèle Freund und es ist ein Beitrag, wenn man so will, zur Sozialfigur des Fotografen."

Studie der Fotografie-Geschichte

Als Gisèle Freund im Mai 1933 den Zug nach Paris nahm, war sie 25 Jahre alt. Auch die biografischen Hintergründe der Fotografin werden im Katalog erzählt und dazu ist es eine brillante Studie der Geschichte der Fotografie, so Jan Philipp Remtsma: "Benjamin und Gisèle Freund mokieren sich über den Porträtfotografie-Stil Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts. Menschen, die neben Säulen gestellt werden, neben Gummibäume und ähnliches, was notwendig war, damit sie stabilisiert wurden wegen der langen Belichtungszeiten. Nun kommt der Farbfilm auf und Gisèle Freund übernimmt den Farbfilm in dem Augenblick, wo Filme hergestellt wurden, die für ihre Kamera passten. Die hatten aber wieder sehr lange Belichtungszeiten. Also musste sie wiederum ihre Opfer posieren lassen. Also: Benjamin stützt den Kopf in die Hand. Möglicherweise, damit es nicht wackelt. Das ist aber dann die Denkerpose, die von Walter Benjamin überliefert ist. Das ist sehr schön, wie da also die technischen Notwendigkeiten den Habitus von abgebildeten Personen formen." 

Der Verleger Gallimard suchte nach einem neuen Foto seines Autors André Malraux, es sollte ein Bild werden, das mit dem Bild übereinstimmt, das sich der auch der Leser während der Lektüre vom Autor macht. Gisèle Freund gelang ein Malraux Porträt, das sie berühmt machte. Es geht seitdem um die Welt und wird ihr im Laufe der Jahre ein Vermögen eingebracht haben. Drinnen in seiner Wohnung war es zu dunkel, sie gingen auf den Balkon, Malraux steht mit flatterndem Haar im Wind, im Mundwinkel eine Zigarette.

Um solche Fotos machen zu können, darf man nicht zimperlich sein. Ein wahrhaftes Porträt entsteht, so Gisèle Freund, nur, wenn uns der Fotograf eine Persönlichkeit kompromisslos und ohne etwas zu beschönigen nahebringt.

Virginia Woolf war nicht begeistert

Virginia Woolf zum Beispiel war wenig amüsiert nach einer Fotosession mit Gisèle Freund. Dazu Jan Philipp Reemtsma: "Also, diese Art von persönlicher Annäherung ist natürlich im normalen gesellschaftlichen Comment schlechtes Benehmen. Wenn man nicht sowieso befreundet ist. Und Gisèle Freund und Benjamin waren befreundet. Aber mit Virginia Woolf hatte sie gar nichts zu tun. Das heißt, das war ein brachiales Eindringen in deren Welt, was die gar nicht wollte. Sie war auch unangemeldet und kam und machte sich breit. Also, wenn ich sage, die Sozialfigur des Fotografen ist ja ganz wesentlich das Brachiale, unzivilisierte Eindringen. Was ja bis in die Metaphorik geht, nicht? Also, Fotografieren heißt bis heute: Abschießen. Schnappschuss. Shooting Session und so weiter. Fotografieren ist immer als ein aggressiver Akt verstanden worden und jeder, der mit Fotografen zu tun hat, weiß: Das ist so."

Wer in diesem Moment an Virginia Woolf denkt, hat vermutlich erstaunlich genau ein Bild von Gisèle Freund im Kopf. Ihre Schönheit und abgrundtiefe Einsamkeit ist auf dem Bild zu sehen, keine Spur von dem Ärger über einen Tag, der durch die Fotografin gestört wurde.

Autorenfotos prägen den Roman des Lesers im Kopf und sicherlich unser Verständnis der Werke. Dass Gisèle Freund die Werke der Schriftsteller, die sie fotografiert hat, kannte, ist auf den Bildern durchaus zu entdecken. Ihre Bilder erinnern daran, dass Fotos einmal etwas nicht millionenhaft Herstellbares, Beliebiges waren, sondern Momente in ihrer Kostbarkeit und Bedeutung und Persönlichkeiten festhalten konnten. 

Gisèle Freund - Fotografische Szenen und Porträts

von Janos Frecot, Gabriele Kostas (Hrsg.)
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Bildband
Verlag:
Nicolaische Verlagsbuchhandlung
Bestellnummer:
978-3-89479-848-2
Preis:
39,95 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 13.07.2014 | 17:40 Uhr

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Fotografie

Bildbände

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