Bildschöne Bücher: "The Beauty of Ukraine"
In dem Bildband "The Beauty of Ukraine" möchte der Fotograf Yevhen Samuchenko sein Heimatland mit Landschaftsaufnahmen feiern. Doch ob ihm das gelungen oder arg misslungen ist - darüber sind sich unsere Autoren Peter Helling und Guido Pauling nicht ganz einig.
Peter Helling:
Zugegeben, der erste Blick in diesen Band beeindruckt: Ein fast künstliches Rosa dominiert da; es sind Salzseen in der Ukraine. Eine lachsrosa Wasserfläche, die Ufer salzige Krusten. Yevhen Samuchenkos Luftaufnahmen zeigen Landschaften wie offene Wunden, wie anatomische Anomalien.
Dieser "Liebesbrief" ist vor Liebe blind
Man blättert Seite für Seite weiter, und das Rosa nimmt kein Ende. Stattdessen werden salzverkrustete Poller als "Eis am Stiel" bezeichnet. Die Motive sind überdeutlich, haben keinerlei Geheimnis, wirken geradezu "platt". Dieser "Liebesbrief an die Landschaften der Ukraine" - so heißt es im Klappentext - ist vor Liebe blind.
Metallkonstruktionen im Hafenbecken von Odessa, einfache Stäbe und Gerüste, die aus dem Meer ragen. Mohnblumenfelder, durch die eine Frau in weißem Kleid tänzelt. Ein Wald von oben, in Herbstlaub, dann im Schnee. "Den Winter in der Ukraine muss man wirklich gesehen haben", sagt der Begleittext etwas schwelgerisch.
Am Schluss geht der Blick in den Himmel. Auf Nachtaufnahmen wird der Lauf der Sterne eingefangen, scheinbar festgehalten von der eisernen Faust eines sowjetischen Metallhelden auf einem Sockel.
Falsches Pathos
Die Ästhetik von Orten, die heute allabendlich im Ukrainekrieg-Liveticker auftauchen - Cherson, Odessa, Mykolajiw - wirkt merkwürdig, fast erschreckend zynisch und unecht. Außerdem triefen manche Aufnahmen vor falschem Pathos. Fotografien, gerade die von Landschaften, sollten über das reine ästhetische Abbilden hinausgehen. Sonst bleiben sie im Postkartenmotiv stecken. Kitsch ist gar kein Ausdruck.
Dass die Ukraine ein schönes Land ist, ist sicher wahr. Nur: Diese abgeknipste Schönheit fühlt sich an wie inszenierte Leere. Der Bildband schwelgt in Rosa - und die Wirklichkeit?
Guido Pauling:
Yevhen Samuchenkos ungewöhnlicher Ansatz
Zugegeben, all diese Argumente haben etwas für sich. Und doch lässt sich derselbe Bildband auch mit anderen Augen betrachten. Schon das Cover: Wer würde wohl "Die Schönheit der Ukraine" mit einer deftigen Portion Rosa darstellen? Der Fotograf traut sich etwas, einen ungewöhnlichen Ansatz.
Gleich die erste Fotografie nach dem Aufblättern zeigt dagegen - in Schwarz-Weiß - einen Fels; ein Stück Gestein in mehreren Schichten, wie erstarrte Lava. Eine Aufnahme mit Langzeitbelichtung, so dass der Fels extrem scharf, die ziehenden Wolken am Himmel wiederum extrem verwischt erscheinen. Erneut: ein ungewöhnlicher Ansatz. Was ja schon einmal nicht schlecht ist.
Das Vorwort verrät: "Der ukrainische Verlag (...) hatte die Arbeit an diesem Werk bereits begonnen, als im Februar 2022 der russische Angriffskrieg begann." Demnach ist der Bildband ursprünglich nicht als Projekt des Widerstands gedacht gewesen, auch wenn es jetzt so wirken mag.
Reichlich überzuckert - warum nicht?
Farb- und Bildästhetik vieler Aufnahmen mögen westliche Betrachter befremden. Allzu dicke Farbsättigung, extrem weichgezeichnete Wasserläufe - viele der Drohnen-Bilder Samuchenkos erinnern an Klavierspiel mit dauerndem Pedaleinsatz, damit die Töne schön viel Hall bekommen; oder auch an Desserts mit reichlich Einsatz von Zucker und Lebensmittelfarbe.
Doch wer darf global definieren, welche Kunstform ästhetisch überzeugt? Andere Länder, andere Sitten. Wer keine überzuckerten Desserts mag, muss doch anerkennen, dass anderswo die Menschen kaum genug von zuckrigem Honiggebäck mit Schokoguss bekommen können.
Samuchenkos Fotografien wirken wie abstrakte Gemälde
Die Fotografien von rosa Salzseen und grünen Wiesenlandschaften wirken tatsächlich wie abstrakte Gemälde in Pop-Farben. Und in den Bildern von Sowjethelden, die ihre Hände zu den Sternen strecken, in Aufnahmen von unter dem Nachthimmel scheinbar "träumenden" Windmühlen und Heuhaufen wie aus einer frühen Gogol-Erzählung steckt auch eine fein schmunzelnde Ironie verborgen.
The Beauty of Ukraine - Landscape Photography
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- ca. 145 Farbfotografien
- Verlag:
- teNeues
- Bestellnummer:
- 978-3-96171-431-5
- Preis:
- 50 €