Zur US-Wahl: Biografin über den Aufstieg von Kamala Harris
Der 5. November 2024 könnte der Tag sein, an dem in den USA erstmals eine Präsidentin gewählt wird. Ein Gespräch mit der USA-Korrespondentin der NZZ Marie-Astrid Langer, die 2021 eine Biografie über Kamala Harris vorgelegt hat.
Frau Langer, Sie kennen das Leben von Kamala Harris ganz gut. Bis Montag hat sie Wahlkampf betrieben, und heute, also Dienstag, ist der große Tag. Wie sieht wohl so ein Tag bei ihr aus?
Marie-Astrid Langer: Heute wird sie zu einer Wahlparty an ihrer ehemaligen Hochschule Howard gehen. Howard ist eine traditionell afroamerikanische Universität in den USA, eigentlich die bekannteste, und Harris ist eine Alumna. Sie hat gesagt, die Zeit an der Howard University war für sie sehr prägend. Sie ist dort auch Mitglied der Schwesternschaft Alpha Kappa Alpha geworden. Sollte sie an diesem Tag tatsächlich Geschichte schreiben, wolle sie an ihre Wurzeln, an die Universität zurückkehren. Darüber hinaus hat Harris auch eine kleine private Routine: An Wahlabenden umgibt sie sich sehr gerne mit ihren engsten Freunden und der Familie. Die lässt sie dann einfliegen, und die sind bei ihr, wenn die Ergebnisse reinkommen.
Sie schreiben in Ihrer Biografie: Wer verstehen will, wer Kamala Harris ist und wofür sie steht, der muss verstehen, woher sie kommt. Welche Hürden musste sie als Frau mit afroamerikanischen Wurzeln nehmen?
Langer: Die Hürden, die Harris überwinden musste, um dort zu stehen, wo sie nun ist, fingen eigentlich schon an, bevor sie überhaupt in die Politik ging, als sie sich nämlich als Jurastudentin entschlossen hatte, Staatsanwältin zu werden. Dass eine Frau, noch dazu eine schwarze Frau, Staatsanwältin werden will, das ist in den USA enorm selten. Bis heute besteht die große Mehrheit der Staatsanwälte aus weißen Männern. Harris' Freunde und Verwandte waren zunächst skeptisch und fragten, warum sie nicht in die Bürgerrechtsbewegung gehen will wie viele andere schwarze Juristen. Aber Harris hat gesagt, sie habe verstanden, dass die Staatsanwälte diejenigen seien, die wirklich Macht im System hätten. Und wenn man etwas verändern wolle, müsse man mit am Tisch sitzen.
Diese Hürden gingen aber auch weiter: Als sie in die Politik gegangen war, war sie häufig die erste schwarze Frau, die bestimmte Ämter erobert hatte, und sie musste jedes Mal den Wählern erklären, dass jemand, der aussieht wie sie, durchaus diese Position innehaben kann. Das ging bis zum Amt der Vizepräsidentin, und da gab es dann zum Teil auch ganz praktische Fragen, zum Beispiel: Welchen Titel hat eigentlich der Mann der Vizepräsidentin?
Sie kommt aber besonders bei den männlichen schwarzen Wählern mit ihrer Politik nicht so gut an. Woran könnte das liegen?
Langer: Das hat mich auch überrascht, und da hat auch speziell Barack Obama vor wenigen Wochen in einer Rede schwarze Männer fast schon gerügt, warum sie Harris nicht noch mehr unterstützen. Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Zum einen ist eine Frau im Weißen Haus ein Bruch mit dem traditionellen Rollenbild. Man darf nicht vergessen, dass viele Amerikaner, egal welcher Hautfarbe, oft noch konservativer sind, als wir das häufig in Europa wahrnehmen. Mit Harris' Kandidatur schwingt auch die Frage mit: Kann eine Frau dieses Land führen? Ich glaube, das ist eine Frage, die sich auch viele Afroamerikaner stellen. Trump wiederum positioniert sich sehr als starker Mann. Auch gegenüber schwarzen Wählern hat er immer wieder damit geworben, dass er die Jobs für sie zurückholen wird, die beispielsweise Einwanderer abgegriffen haben oder die ins Ausland gewandert sind. Ich glaube, es geht bei der Diskussion eher um Männlichkeit als um Hautfarbe.
Sie hat mit dem Thema Abtreibung einen wichtigen Nerv getroffen: Viele weibliche Popstars wie Taylor Swift oder Beyoncé haben das als Grund genannt, sich hinter die Präsidentin zu stellen. Aber die Aussprache für das Recht auf Abtreibung könnte sich auch negativ auf den Wahlausgang für Harris auswirken, oder?
Langer: Vielleicht. In dem Augenblick, wo man sich für etwas positioniert, ist man damit auch implizit gegen etwas anderes. Aber ich glaube nicht, dass dies bei dem Thema Abtreibung der Fall sein wird. Das Thema spaltet die amerikanische Gesellschaft in einem Ausmaß, das wir uns in Europa häufig gar nicht vorstellen können, weil es hier relativ geklärt ist, vor allem in Deutschland. Aber in den USA ist es eine Gretchenfrage: Entweder man ist dafür oder man ist dagegen. Insofern war es von Harris eigentlich nur konsequent, sich dabei so stark und so klar zu positionieren. Hätte sie das nicht getan, hätte sie riskiert, Wählerinnen, die eher dazu geneigt wären, sie zu unterstützen, zu verlieren. Ich glaube, dass es strategisch klug von ihr war, sich so klar pro Abtreibung zu positionieren, weil es kohärent ist mit ihrem bisherigen Werdegang, aber auch mit der demokratischen Basis.
Ein Motto von Kamala Harris ist: mehr miteinander statt gegeneinander. Damit steht sie im Kontrast zu Donald Trump, der mit gefährlichen Parolen seine Fans eher anstachelt. Was könnte sich mit Harris auf dem Präsidentschaftsposten insgesamt ändern?
Langer: Im Vergleich zu Donald Trump würde sie sicherlich einen ausgleichenderen Ton ins Weiße Haus bringen. Sie versucht sehr, das Land zu versöhnen, nach vorne zu gucken und klarzumachen: Euer Nachbar ist nicht euer Feind, auch wenn er vielleicht eine andere politische Überzeugung hat. Sie dürfte sicherlich auch mehr Berechenbarkeit ins Weiße Haus bringen als Donald Trump, und es wäre wahrscheinlich eine traditionellere Präsidentschaft, wenn man so will. Besonders die Beziehung zu ausländischen Partnern wie der EU und der NATO dürfte sie stärken. Wahrscheinlich würde sie auch mehr gen Pazifik schauen statt nur gen Atlantik. Denn Harris hat ihre Wurzeln auch in Indien. Wenn man Harris aber mit Joe Biden vergleicht, der ihr direkter Vorgänger wäre, wie würde da eine Präsidentin Harris den Posten ausführen? Diese Frage steht wirklich im Raum, denn im Wahlkampf ging es mehr um Trump als um Harris. Sie hat relativ wenig Inhalte und konkrete Programme vorgestellt. Man weiß, dass sie Familien finanziell stärken will und die Mittelklasse, aber wie genau ihre Präsidentschaft aussehen würde, bleibt abzuwarten.
Das Gespräch führte Julia Westlake.