Ukraine-Krieg: "Papst Franziskus widerspricht der christlichen Moral"
In einem Interview hat Papst Franziskus, als er zum Ukraine-Krieg befragt wurde, von einer "weißen Fahne" gesprochen, die gehisst werden sollte, und vom Mut zu verhandeln. Hat der Papst der Ukraine damit geraten zu kapitulieren?
Ein Gespräch mit Florian Breitmeier aus der Redaktion Religion und Gesellschaft.
Wann hat der Papst das Interview gegeben. Und was hat er genau gesagt?
Florian Breitmeier: Er hat das Interview Anfang Februar dem Schweizer Sender RSI gegeben, das ist der Teil für den italienischsprachigen Teil der Schweiz. Franziskus wurde mit Blick auf den Krieg in der Ukraine gefragt, ob er eher bei jenen stehe, die eine Aufgabe der Ukraine fordern, weil Russland nicht habe zurückgeschlagen werden können, oder ob der Papst bei jenen stehe, die sagten, eine Aufgabe der Ukraine würde die Aktion der stärksten Seite legitimieren. Der Interviewer des Schweizer Fernsehens brachte selbst den Begriff der "weißen Fahne" mit Blick auf diese Aufgabe ins Spiel.
Der Papst antwortete, das sei eine Interpretationssache, aber er sei der Überzeugung, dass der Stärkste derjenige sei, der eine Situation betrachte, dann an das Volk denke, den Mut habe, die weiße Fahne zu hissen und auch bereit sei zu verhandeln. Franziskus hat dann noch hinterhergeschoben: Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln. Wobei Franziskus im Interview auch klarstellte, dass "verhandeln" für ihn nicht "kapitulieren" bedeute.
Ist das also nur Ergebnis einer etwas unglücklichen Formulierung? Das hat es ja schon öfter bei Franziskus gegeben.
Breitmeier: Zumindest versucht die Vatikan-Diplomatie nun im Nachhinein die Worte des Papstes so zurechtzudrehen, um herauszustellen, dass es dem Papst tatsächlich um die Verhandlungen ging, die er sich in diesem Konflikt wünscht. Allerdings waren seine Aussagen - wenn ein Schwächerer sehe, dass er nicht gewinnen könne - so zu interpretieren, dass er hier die Ukraine gemeint hat und nicht Russland. Er hat nicht klar formuliert, dass Russland in diesem Krieg der Aggressor ist. Er hat es auch nicht klar an die Seite Putins adressiert, beispielsweise den Mut zu haben, die Truppen aus der Ukraine abzukommandieren, sondern er ist bei der Perspektive der Ukraine geblieben, die verhandeln solle. Das ist allenfalls eine missverständliche Formulierung, aber nicht eine, die einem Papst als einem diplomatischen Staatsoberhaupt im 21. Jahrhundert passieren dürfte.
Dass ein Papst grundsätzlich von Frieden spricht, ist nicht erstaunlich. Aber er hat immer auch schon an der Seite der Unterdrückten gestanden, sich auch durchaus mutig gegen Diktaturen gestellt, beispielsweise in seinem Heimatland Argentinien. Was erleben wir also da gerade?
Breitmeier: Ich denke, das ist das große Ringen eines Papstes in einem Konflikt, vor dem auch die Weltöffentlichkeit steht und man sich in der Tat fragt, wie es in der Ukraine weitergehen soll. Das Sterben findet dort statt, aber die Lösung kann nicht sein, die weiße Fahne zu hissen und Russland gewähren zu lassen. Natürlich kann ein Papst keine Taurus-Marschflugkörper fordern, aber er sollte als ein einflussreiches Staatsoberhaupt - und das ist der Papst - diplomatisch nicht so unterkomplexe Lösungsansätze skizzieren, wie das in diesem Interview passiert ist. Denn es widerspricht auch streng genommen der christlichen Moral, wenn man in einer konkreten Situation nicht an der Seite eines Schwachen steht, wenn man nicht bereit ist, Gewalt scharf zu verurteilen und dieser entschlossen entgegenzutreten, für einen gerechten Frieden zu werben und sich dafür einzusetzen, der aber mehr ist als nur ein brüchiger Waffenstillstand. Hier hätte der Papst klarer formulieren und mehr differenzieren müssen, als er es getan hat.
Wie reagiert die Kirche auf dieses Interview?
Breitmeier: Sehr zurückhaltend. Die Deutsche Bischofskonferenz ist gefragt worden, wie sie diese Äußerungen des Papstes einschätze. Da hieß es, man habe den Worten des Vatikansprechers Matteo Bruni nichts weiter hinzuzufügen, der den Aspekt sehr stark gemacht hatte, dem Papst sei es um verhandeln gegangen und nicht um eine Kapitulation. Da hätte man sich vonseiten der Deutschen Bischofskonferenz mehr vorstellen können, gerade weil sie Ende Februar bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Augsburg ein Papier zur Friedenssicherung, zur Friedensethik vorgestellt haben, in der auch klar formuliert wird, dass es ein legitimes Recht der Selbstverteidigung gibt und bei Gewalt auch Gegengewalt einsetzbar ist. Denn es kann nicht dazu führen, dass man vollends vor einem Angreifer kapituliert, sondern das Recht der Selbstverteidigung ist auch in der christlichen Ethik so festgeschrieben.
Das Interview führte Julia Westlake.