Spenden in Deutschland: Immer weniger Beteiligte trotz Rekordsumme
Obwohl von Januar bis September 2022 eine Rekordspendensumme in Deutschland erzielt wurde, geht die Zahl der einzelnen Spender zurück. Ein Gespräch mit Max Mälzer, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrats.
Herr Mälzer, es gab unterschiedliche Prognosen, was die Spendenbereitschaft zum Jahresende angeht. Pessimisten haben gesagt, die Leute hätten selber kein Geld und hielten das zurück. Wie sieht es jetzt aus, können Sie eine Prognose abgeben?
Max Mälzer: Wir schätzen, dass insgesamt etwa 5,8 Milliarden Euro an Privatspenden in Deutschland eingenommen werden. Das ist eine halbwegs optimistische Prognose, die auf den sehr guten ersten drei Quartalen dieses Jahres aufbaut, die aber auch aufgrund einer Umfrage von mir getätigt werden kann. Diese Umfrage hat ergeben, dass 43 Prozent der Leute genauso weiter spenden möchten wie bisher. Weitere zwölf Prozent der Leute haben gesagt, sie möchten gerne mehr oder sogar sehr viel mehr spenden.
Von Januar bis September 2022 gab es eine Rekordsumme: 3,8 Milliarden Euro sind da zusammengekommen. Gleichzeitig hört man, dass dieses Geld von weniger Spenderinnen und Spendern kommt. Geht die Spendenbereitschaft also insgesamt zurück und nur einige greifen tiefer in die Tasche?
Mälzer: Das ist schon seit Jahren so, dass wir einen Rückgang der Spenderinnen und Spender in der Bevölkerung sehen. Allerdings ist es so, dass die verbliebenen Spenderinnen und Spender deutlich häufiger spenden. Wir haben ursprünglich eine Spendenhäufigkeit von ungefähr 3,2 Mal pro Jahr gesehen - jetzt sind wir bei knapp sechs Mal pro Jahr. Wir sehen auch, dass der durchschnittliche Spendenakt in der Höhe massiv nach oben gegangen ist: Wir sind jetzt bei einem Durchschnittswert von 41 Euro. Das ist eine Rekordzahl, und diese Zahl halten wir schon im zweiten Jahr hintereinander.
Woran liegt das, dass die Zahl der Spender zurückgeht?
Mälzer: Das ist letztendlich die Eine-Million-Euro-Frage. Wenn wir wüssten, woran das liegt, dann würden wir daran ansetzen. Wir vermuten, dass eine Art von Mentalitätswandel dahinter steckt. Wir sehen, dass der ganz große Löwenanteil der Spendeneinnahmen durch die Generation 60 plus, insbesondere 70 plus getätigt wird. Gerade diese letzte Altersgruppe, ist die einzige Altersgruppe, die in Deutschland noch selbst Krieg, Tod, Leid am eigenen Körper erfahren hat und denen wahrscheinlich auch mal geholfen worden ist. Da liegt es natürlich sehr nahe, zu sagen: Ich helfe auch, wenn ich das kann. Bei allen anderen darauffolgenden Generationen war es so, dass die - Gott sei dank - in Deutschland in Wohlstand und Frieden aufgewachsen sind. Da hat sich eine andere Mentalität entwickelt.
Große Katastrophen, wie etwa die Flut im Ahrtal oder der Ukraine-Krieg, appellieren an die Spendenbereitschaft. Gleichzeitig entsteht auch eine Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Spendenzielen und Organisationen. Wie schwer wiegt die?
Mälzer: Das ist grundsätzlich nichts Neues, dass die Spenderinnen und Spender ihr Geld dorthin allokieren, wo sie es für am dringendsten nötig halten. Im letzten Jahr war es die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands, in diesem Jahr ist es ganz klar der Angriffskrieg auf die Ukraine. Das ist ganz normal. In diesem Jahr fällt auf, dass bestimmte Bereiche, insbesondere in der humanitären Hilfe, die nicht direkt mit der Ukraine-Hilfe in Verbindung stehen, durchaus Verluste haben. Ich rede hier von Krankheit, Behinderung, Bildung, Entwicklungshilfe - all diese Dinge haben in diesen ersten drei Quartalen Verluste zu verzeichnen. Das ist aber auch relativ normal. Das kann sich in den Folgejahren wieder ändern.
Man kann das auch kritisch sehen, wenn wir auf Projekte wie die Tafeln, auf Obdachlosenhilfe schauen. Da kann man auch sagen, dass das eine öffentliche Aufgabe ist, die nicht durch Spenden finanziert werden soll. Wie sehen Sie das?
Mälzer: Dieser Aussage, dass das eine Aufgabe für den Staat ist, würde ich zustimmen. Trotzdem glaube ich nicht, dass Menschen sich so einfach aus der Verantwortung ziehen können. Jeder einzelne von uns, der in Frieden und Wohlstand lebt und dem es gut geht, der sollte auch etwas für sich und andere tun, auch für die Umwelt.
Kann man sagen, dass reiche Menschen besonders viel spenden? Oder ist das gar nicht so?
Mälzer: Das sehe ich nicht so. Es ist natürlich so, dass einzelne reiche Personen sehr hohe Geldsummen spenden können. Aber wenn Sie sehen, dass Menschen, die nicht über so wahnsinnig hohe Mittel verfügen, es immer noch schaffen, einen gewissen Anteil ihres Geldes abzuknapsen, dann ist das nicht weniger wichtig. Im Gegenteil: Die Masse der Personen, die nicht mit Millionen auf dem Konto gesegnet ist, macht einen sehr großen Batzen aus. Die Zahlen, mit denen wir arbeiten, da sind Großspenden über 2.500 Euro herausgerechnet. Das heißt, wir reden nur von diesen mittleren und kleinen Spenden.
Gibt es Bereiche und Organisationen, die in diesem wilden Jahr ein bisschen vergessen worden sind, an die man jetzt denken könnte?
Mälzer: Außerhalb der humanitären Hilfe sind im Bereich Natur- und Umweltschutz, aber auch im Bereich Denkmal- und Kulturpflege leichte Rückgänge zu verzeichnen. Ich will nicht sagen, dass die vergessen worden sind - ich glaube, dass ist noch im Rahmen der normalen Fluktuation.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.