Sexuelle Belästigung: Vertrauensstelle Themis zieht Bilanz
Seit fünf Jahren kümmert sich die unabhängige Vertrauensstelle Themis um sexuelle Belästigung in der Film- und Medienbranche. Nun wurde Bilanz gezogen. Ein Gespräch mit der Vorstandsvorsitzenden Eva Hubert.
Frau Hubert, was hat Sie in dieser Zeit, in der Sie das mitbetreuen, am meisten überrascht?
Eva Hubert: Mich persönlich hat sehr überrascht, wie viele Fälle dann doch zusammengekommen sind und dass die Zahl immer noch weiter ansteigt. Eine große Überraschung war, dass sich während der Corona-Zeit viel mehr Betroffene gemeldet haben als am Anfang. Das erkläre ich mir damit, dass viele dann erst mal darüber nachgedacht haben, was eigentlich mit ihnen passiert ist und von Themis eine Einordnung haben wollten, ob das denn sexuelle Belästigung war oder nicht.
Wie reagieren Sie, wenn Menschen anrufen und sagen: "Ich weiß eigentlich nicht genau, wie mir da geschehen ist?"
Hubert: Wir haben sehr tolle Kolleginnen, ich habe hohen Respekt, weil sie ganz gut damit umgehen, diesen Müll Tag für Tag zu verarbeiten. Sie hören sich erst einmal alles an und nehmen die Betroffenen, die sich melden, ernst. Viele sagen: "Vielleicht bin ich zu empfindlich" - und sie müssen immer sagen: "Nein, Sie sind nicht zu empfindlich - das war sexuelle Belästigung, die Sie da erlebt haben." Und dann besprechen sie weiter, wie darauf reagiert werden kann.
Wie können Sie da vorgehen, wenn die Betroffenen anonym bleiben wollen?
Hubert: Wenn die Betroffenen anonym bleiben wollen, dann geht es darum, dass sie sich einfach aussprechen können. Manche wollen sich gerne zwei oder auch drei Mal aussprechen. Manchmal ist es auch nötig, dazu zu raten, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Beratung bei Themis ist kostenlos, sowohl von der Juristin als auch von der Psychologin, aber natürlich kann Themis keine Therapie oder keine anwaltliche Vertretung anbieten. Aber man kann Hilfe und Unterstützung geben. Im Rahmen des Prozesses passiert es dann auch oft, dass die Personen, die sich am Anfang anonym melden, ihren Namen sagen und man dann weiter überlegt, was in dem Fall zu tun ist.
Im Moment ist Til Schweiger wegen der unterirdischen Atmosphäre, die er am Set erzeugen soll, im Gespräch. Haben Sie so etwas bei diesem Namen kommen sehen?
Hubert: Das ist nicht im Fokus von Themis. Bei Themis geht es um sexualisierte Belästigung und Gewalt, und am Set von Til Schweiger sollen es eher sehr schlechte Arbeitsbedingungen sein. Das ist nicht, was Themis beleuchten oder gegen das der Verein sich wehren würde, weil wir dieses ganz begrenzte Mandat haben. Das wurde bei der Vereinsgründung so in das Stammbuch von Themis geschrieben.
Wobei ich da strukturell schon die Parallele sehe, dass man sagt: "Der ist so erfolgreich, lassen uns das mal aushalten."
Hubert: Bei dieser Parallele haben Sie mit Sicherheit Recht. Trotzdem ist es falsch. Auch wenn jemand genial ist und eine gute Nase für Stoffe hat, mit denen man viel Geld verdienen kann, ist es kein Grund dafür, dass man Leute schlecht behandelt. Das ist eine Geschichte, die ich immer ablehnen würde, auch bei den sogenannten Genies.
Wie geht es Ihnen damit, dass das so öffentlich verhandelt wird? Das wäre genau der Weg, den Sie bei Themis nicht gehen würden: Hörensagen erstmal direkt an die Medien durchstechen?
Hubert: Warum das jetzt an die Medien durchgestochen wurde, das weiß ich nicht genau. Vielleicht hatten die Betroffenen keinen anderen Rat mehr. Wenn jetzt darüber die Diskussion entsteht, wie anständige Arbeitsbedingungen entstehen sollen und was die Gewerkschaften und die Berufsverbände machen können, dann finde ich das eine gute Geschichte. Denn Machtmissbrauch möchte man auf keinem Sektor haben, und gute Arbeitsbedingungen möchte man immer haben.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.