Die Pianistin Hanni Liang steht mit ihren Händen in den Hosentaschen hinter einem Flügel und lächelt. © Felix Broede Foto: Felix Broede

Pianistin Hanni Liang: "Frauen werden oft auf das Aussehen reduziert"

Stand: 28.05.2023 11:54 Uhr

Sind Frauen in der Musikbranche immer noch benachteiligt? Ein Interview mit der Rapperin Nina Chuba macht nachdenklich. Gibt es in der Klassikszene ähnliche Probleme? Dazu ein Gespräch mit Pianistin Hanni Liang.

Früher dachte die erfolgreiche Künstlerin Nina Chuba, als Frau habe sie keine Nachteile in der Musikbranche. Mittlerweile sei ihr klar, verriet sie kürzlich in einem Interview, dass sie als Frau mehr hinterfragt werde und berichtet, dass ihr Erfolg von anderen Männern sogar schon ihrem Labelchef und nicht ihr selbst zugeschrieben wurde. Wie ist es in der Klassikszene?

Die deutsch-chinesische Pianistin Hanni Liang ist 1993 in Bielefeld geboren und in einer Nicht-Musikerfamilie aufgewachsen. Mittlerweile lebt die zweifache Mutter in Hamburg und kuratiert neben ihren Solo-Auftritten kunst-soziale Projekte. Sie ist regelmäßig in der Hamburger Elbphilharmonie zu Gast. Dabei versucht sie, ganz gezielt Musik von Frauen zu fördern.

Frau Liang, wie haben Sie das zu Beginn Ihrer Karriere wahrgenommen - gab es Unterschiede zu ihren männlichen Kollegen?

Hanni Liang: Am Anfang war es erstmal gar kein Thema. Als klassische Musikerin kommt man als Kind in diese Welt und macht sich noch nicht so viele Gedanken. Das kommt dann aber später, wenn man die eigenen Erfahrungen, die Branche, das Musikleben hinterfragt. Irgendwann kommt man dann zwangsläufig zu der Frage: Gibt es da eigentlich einen Unterschied?

Gab es bei Ihnen einen bestimmten Moment, in dem Ihnen das klar geworden ist?

Liang: Mir ist früh aufgefallen, dass man als Frau sehr stark auf den Körper, das Aussehen und die Klamotten reduziert wird. Das war schnell ein Gesprächsthema. Früher habe ich auch eher traditionelle Konzertkleider getragen. Nach einem Konzert hat mal jemand aus dem Publikum gesagt: "Das Kleid hätte ja schon ein bisschen kürzer sein können." Ich war gerade achtzehn, auf dem Weg zum Erwachsenwerden. In meinem Alter damals habe ich mir über so etwas gar keine Gedanken gemacht. Ich habe mich einfach nur gefragt, was dieser Kommentar sollte, es war eine unangenehme Situation für mich. Ich hätte mir gewünscht, dass mehr über mein Spiel gesprochen worden wäre. Jetzt trage ich gar keine Konzertkleider mehr, ich komme eher im Casual Chic auf die Bühne.

Hat sich die Situation verändert?

Liang: Heute habe ich das Gefühl, dass es dank der vielen Diskurse, die wir führen, besser geworden ist. Trotzdem gibt es die Tendenz, dass das Aussehen bei Frauen thematisiert wird. Dabei sollte jede Frau anziehen, was sie möchte - egal ob Mini oder Maxi - ohne dass sie Angst haben muss, verurteilt zu werden. Diese Rollenzuschreibungen finden aber noch statt: dass die Frau diese Liebe, Nette sein sollte. Wenn sie dann doch mal wütend ist oder Tacheles redet, kommen gleich die entsprechenden Reaktionen: "Hat sie etwa ihre Tage?" So etwas kommt meiner Meinung nach bei Frauen doch eher vor als bei Männern.

Würden Sie sich rückblickend mehr Unterstützung für junge Frauen wünschen?

Liang: Eine Stärkung wäre sehr wichtig und die hätte ich mir für mich selbst auch gewünscht. Eine Art Aufklärung in der Hinsicht, ein stärkeres Bewusstsein und vielleicht auch eine Art Mentorenschaft, wie man sich dann in solchen Situationen verhalten kann. Im Nachhinein würde ich sagen: Wir Frauen sind super starke Menschen. Wir können Kinder zur Welt bringen. Das ist ja allein schon die Urkraft schlechthin, die uns viel stärker macht als jeden Mann. Diese Stärkung und auch Ermutigung, laut zu werden, die Stimme zu erheben und das Bewusstsein darüber, dass wir die Stimme haben und diese eben auch erheben sollten, auch für diejenigen, die es nicht können - das wäre wichtig.

Wie groß sind Ihrer Meinung nach die Probleme der Gleichberechtigung in der klassischen Musikwelt?

Liang: Ich habe das Gefühl, dass es Bewegung gibt. Zum Beispiel in Hinblick auf die LGBTQ-Bewegung. Ich glaube, es gibt aber immer noch einen Gender-Pay-Gap. Ich habe das Gefühl, dass es für männliche Kollegen einfacher ist, bestimmte Gagen zu verlangen und zu bekommen als für weibliche Kolleginnen. Ich verstehe nicht, warum das so ist. Ob Frauen wirklich eher in Verhandlungen nachgeben - da habe ich auch viele eigene Fragen. Ich hoffe, dass uns die vielen Diskurse, die wir führen, dabei helfen, das zu überwinden.

Haben Sie sich bewusst für ein weibliches Management entschieden?

Liang: Ja, auf jeden Fall! Vor allem mit Blick auf die arbeitende Mutter. Ich habe zwei Kinder und finde es immer sehr angenehm, wenn man sich in diesem Punkt versteht, was das eigentlich heißt, wenn man mit Kindern noch berufstätig ist. Auch dort gibt es viele Rollenzuschreibungen, viele Gesprächsthemen, viele Fragen von der Außenwelt. Natürlich bin ich viel unterwegs in meinem Beruf. Dann heißt es oft: "Ach wie, du warst eine Woche weg? Was machen denn dann die Kinder?" Da erzähle ich dann immer, dass die Kinder auch einen Vater haben. Da habe ich es ja auch noch gut, viele Frauen sind alleinerziehend. Die haben es viel schwerer und ich bewundere ihre Stärke unglaublich. Bei solchen Kommentaren bekomme ich aber trotzdem ein schlechtes Gewissen. Ich muss arbeiten und möchte meine Kinder natürlich nicht "alleine" lassen. Das ist oft ein innerer Kampf!

Warum spielen Sie oft Musik von eher wenig bekannten Frauen? Man könnte ja meinen, ein Mozart-Abend zum Beispiel wäre doch viel einfacher zu verkaufen?

Liang: Ich finde, wir haben einen sehr starken allgemeinen Repertoire-Kanon, in dem wir uns bewegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir da raus müssen. Da sind wir alle als Interpret*innen gefragt, das ist unsere Aufgabe und unsere Verantwortung. Komponistinnen und gerade zeitgenössische Komponistinnen sind nicht so gut vertreten. Deswegen bin ich eine sehr große Unterstützerin davon, diese auch zu spielen.

Ich plane aktuell ein neues Album, das nächstes Jahr erscheinen soll. Dabei steht die Stimme der Frauen im Fokus - es geht vor allem um Ethel Smyth. Eine unglaubliche Persönlichkeit, die ich gerne kennengelernt hätte. Sie war unter anderem Zeitgenossin von Brahms, von ihren männlichen Kollegen wie Debussy war sie sehr anerkannt. Sie hat ihr Leben lang um Gehör für ihre Musik und für Frauen gekämpft. Sie war auch eine Anführerin der Frauenbewegung, der Suffragetten, und hat dafür auch einen Chor geschrieben: den "March of the Women". Ein befreundeter Dirigent hat eine erstaunliche Szene von ihr beschrieben: Weil sie einen Stein in ein Fenster von einem damaligen Minister geworfen hatte, musste sie ins Gefängnis. Als der befreundete Dirigent sie dort besucht hat, sah er nur, wie sie aus einer Zelle heraus mit einer Zahnbürste diesen Chor dirigiert hat und alle Frauen gemeinsam gesungen haben. Leider ist sie etwas in Vergessenheit geraten, aber damit diese Stärke nicht verloren gerät, möchte ich ein Album um ihre Musik herum machen. Aber es sind auch zeitgenössische Komponistinnen vertreten, so wie Sally Beamish, Eleanor Alberga, Errollyn Wallen, Chen Yi und Caroline Shaw.

Das Interview führte Anina Pommerenke.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 08.03.2023 | 09:20 Uhr

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