Michael Wollny über den Jazz-Nachwuchs: "Die Vielfalt nimmt zu"
Die beiden großen deutschen Jazzpianisten Joachim Kühn und Michael Wollny kennen sich schon lange. Zu Kühns 80. Geburtstag traten sie gemeinsam in der Elbphilharmonie auf.
Joachim Kühn ist Jahrgang 1944, Michael Wollny ist Jahrgang 1978, und wenn die beiden aufeinandertreffen, geht es nicht mehr nur ums Aufschauen des Einen zum Anderen - hier begegnen sich wirklich zwei auf Augenhöhe. Im Interview erzählt Michael Wollny von der Diplomarbeit, die er über Joachim Kühn geschrieben hat, und was ihn so an Horrorfilmen fasziniert.
Kannst Du Dich noch an Deine erste Begegnung mit Joachim Kühn erinnern?
Michael Wollny: Ich habe eine Begegnung mit Joachim gehabt, da hat er mich nicht gesehen, weil ich als Jungstudent im Publikum saß; das war bei den Münchner Klaviersommer-Konzerten. Ich kann nur mutmaßen, dass das in den 90er-Jahren gewesen sein muss. Die erste Begegnung, wo wir uns auch gesprochen haben, war ein paar Jahre später. Da habe ich als Student an der Würzburger Hochschule meine Diplomarbeit über Joachim Kühn geschrieben und habe ihn zu dem Zweck ganz viel transkribiert, untersucht, analysiert, ganz viele Aufnahmen gehört und ihn auch getroffen und die eine oder andere Frage gestellt. Wobei ich mich kaum erinnern kann, worüber wir da genau gesprochen haben.
Gibt es für Dich so etwas wie eine Lieblingskonstellation: im Duo zu spielen, im Trio oder auch im Quartett?
Wollny: Das ist eine ganz schwierige Frage. Meine Lieblingskonstellation ist eigentlich immer die des vor mir liegenden Abends. In den letzten Jahren genieße ich es sehr, regelmäßig auch mal alleine zu spielen, weil man da sehr viele Freiheiten hat. Man muss sich aber auch die eigenen Grenzen selbst setzen, und das ist eine sehr lohnende und immer wieder wichtige Arbeit, auf sich selbst gestellt zu sein. Mit dieser Arbeit und mit diesem Konzerterlebnis im Hintergrund wird auch das Zusammenspiel mit anderen Besetzungen interessanter.
Das Trio ist für mich seit Jahren meine Hauptbesetzung, mit Tim Lefebvre und mit Eric Schaefer. Wir haben gerade wieder eine kleine Tour gespielt und werden auch im Sommer ein paar Konzerte spielen und eine neue Platte machen. Das ist für mich das Kernprojekt, bei dem ich mich immer wieder frage: Wie kann ein Klaviertrio jetzt klingen? Aber genauso spannend sind auch Duo-Begegnungen, wo ich mit jemandem zum ersten Mal und vielleicht nur für eine begrenzte Zeit nur kann, weil man auch in diesen Momenten sehr offen sein muss und sich ganz oft sehr unvorhergesehene Dinge ergeben, die oft lange Folgen haben, sowohl in mir als auch mit der Musik, die dabei rauskommt.
Du machst ganz unterschiedliche Projekte: die Zusammenarbeit mit Sinfonieorchester, Vertonung von Stummfilmen oder ganz aufwendige Projekte wie "BAU.HAUS.KLANG". Es werden immer neue Sachen ausprobiert. Gibt es so etwas wie eine Bucket List - irgendwas, was du auf jeden Fall künstlerisch unbedingt noch mal machen möchtest?
Wollny: Ich hatte das große Glück, dass sich in den letzten zwölf Monaten ein paar Punkte auf meiner Bucket List erfüllt haben, auf unvorhergesehenen Wegen. Im letzten Jahr konnten wir einige Konzerte zum 100. Geburtstag von Ligeti im Duo spielen, mit Pierre-Laurent Aimard, den ich, seit ich Klavier spiele und seit ich die Musik von Ligeti kenne, als den Interpreten von zeitgenössischer Klaviermusik kenne. Anfang des Jahres gabe es auch ein Klavierkonzert mit dem Gewandhausorchester, das auch der in Hamburg nicht unbekannte Alan Gilbert dirigiert hat. Das war auch einer dieser Momente, wo ich hinterher dachte: Wow, wie kam das zustande? Ich bin dankbar, dass das passiert ist.
Du bist auch Professor und bildest Nachwuchs aus. Was hat sich aus Deiner Sicht in den letzten 20 Jahren in der Szene verändert?
Wollny: Ich glaube, viele Sachen haben sich verändert. Die Szene ist sehr viel größer geworden. Ich bin immer wieder überrascht: In zwei Wochen stehen in Leipzig die Aufnahmeprüfungen an, und die Anzahl der Bewerber, die Ahnung mit der teilweise 16- oder 17-Jährige sich da vorstellen, wie viel Jazz sie schon gehört haben, wie gut sie ausgebildet sind, wie gut sie spielen und eigene Stücke schreiben - die ist einfach enorm hoch, und die Vielfalt nimmt zu.
Was gibst Du Deinen Studentinnen und Studenten mit auf den Weg?
Wollny: Ich habe immer das Bild vor Augen, dass man als Musiker immer in zwei sehr unterschiedlichen Räumen zu Hause ist. Das eine ist ein Labor oder eine Werkstatt, und das andere ist die Bühne. Im Labor beziehungsweise Werkstatt - da zähle ich auch die Hochschule dazu - da ist der Raum, wo man sich ganz genau mit Dingen beschäftigt, wo man analysiert, um das auch zu verstehen, wo man Sachen übt, wo man sehr genau Bescheid wissen will und wo man sehr viel versteht. Und der Bühnenraum ist so eine Art Gegenteil davon: Das ist der Raum, wo man im besten Fall gar nicht nachdenkt und intuitiv mit dem Wissen, das man sich in der Werkstatt, im Labor angeeignet hat, sich fallen lässt in dem Moment des Konzerts. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich auch eine Ausbildung ab, und da können ganz unterschiedliche Inhalte verhandelt werden. Bei mir war es damals Joachim Kühn. Es war einer dieser Werk-Gegenstände, die ich in meinem Labor angeschaut habe und versucht habe zu verstehen. Wenn ich heute spiele, ist sicherlich ganz viel davon auch durch diese Arbeit informiert. Das kann man auf ganz viele Inhalte anwenden. Ungefähr so läuft auch ein Musikstudium für einen improvisierenden Musiker.
Was sind Deine Inspirationsquellen beim Musizieren? Ich habe gelesen, dass Du ausgesprochener Freund von Horrorfilmen bist. Fließt das in Deine Musik ein?
Wollny: Ich finde Horrorfilme deshalb so interessant, weil das oft die Beiträge zu Erzählungen sind, die irgendetwas Neues versuchen, die einem als Zuhörer, Leser, Zuschauer etwas Unerwartetes präsentieren. Das sind oft Dinge, die sich dann wie so eine Avantgarde aus dem Horrorgenre irgendwann in den Mainstreams entwickeln. Das ist eine sehr inspirierte formale Beschäftigung mit einem ganz anderen Genre, das mit mir persönlich eigentlich gar nicht so viel zu tun hat, die mir aber Ideen gibt, wenn ich gerade ein Stück schreibe oder wenn ich spiele, dass ich plötzlich eine andere Handlungsoption sehe in dem Gegenstand, in dem ich gerade bin.
Vielleicht auch Ideen für die Werke, die zum Beispiel "Hexentanz", "Weltentraum", "Wunderkammer" oder "Mondenkind" heißen? Woher kommen diese Titel?
Wollny: Das sind oft Worte, die mich schon längere Zeit begleiten. Ich habe einen kleinen Block, wo ich immer mal was notiere, wenn ich etwas lese, wenn mir ein Satz hängenbleibt oder wenn mir ein Wort besonders gut gefällt. Wenn ich dann in Produktionslabor an irgendetwas sitze, fangen sich plötzlich manche Begriffe an, sich aufzudrängen. Das war ganz extrem so mit dem zuletzt genannten "Mondenkind": Das war ganz lange gar nicht Teil der Vorbereitung für dieses Album, aber als es dann passierte, gab es mehrere Gründe, warum das plötzlich zu mir gesprochen hat. Das stammt aus dem Buch von Michael Ende, "Die unendliche Geschichte", und hat sich thematisch sehr gut mit der Musik verstanden, die ich da geschrieben habe.
Das Interview führte Julia Westlake.