"Lucky Dancer" von ÄTNA: Ein Album voller "absurder Gegensätze"
Brodelnde Krisen, Eskapismus und dann wieder Leichtigkeit und Vergänglichkeit - das sind die Themen, die das neue Album "Lucky Dancer" des Electro-Pop-Duos ÄTNA, bestehend aus Inéz Schaefer und Demian Kappenstein, prägen.
Im Interview sprechen die beiden über die Entstehung ihres Albums.
Seit Freitag ist Euer neues Album draußen - wie geht es Euch gerade damit?
Demian Kappenstein: Richtig gut. Vor zwei Jahren ging es los, als wir angefangen haben, die ersten Ideen davon zu entwickeln. Und jetzt, wo die Leute das endlich zu hören bekommen, ist es eine richtig aufregende Zeit.
Der Titelsong "Lucky Dancer" klingt, zumindest, wenn man nach dem Namen geht, nach fröhlicher Tanznummer. Die Botschaften dahinter sind aber wesentlich düsterer. Was hat Euch zu diesem Titeltrack inspiriert?
Inéz Schaefer: In dem ganzen Album zieht sich die Thematik "Gleichzeitigkeit der absurdesten Gegensätze" durch, die uns die ganze Zeit umgeben, und wie wir Menschen mit diesen Gegensätzen umgehen und versuchen, unser Leben weiterzuleben. Jeder versucht irgendwie sein Glück zu finden, und trotzdem weiß man, dass die schrecklichsten Dinge parallel passieren. Das soll es so ein bisschen symbolisieren.
Während dieser Titeltrack entstanden ist, wart ihr in Spanien. Das war für Euch auch eine relativ kuriose Situation, weil es einen Waldbrand gab, während ihr im Studio aufgenommen habt, oder?
Kappenstein: Ja, wir hatten uns das so schön vorgestellt, dass wir nach der aufregenden Tournee ein wenig in die Wärme fahren und wir uns am Pool und im Studio ganz entspannt nicht nur erholen, sondern auch mit neuen Ideen beschäftigen können. Das war aber weit gefehlt. Denn man rechnet, wie bei allen Klimakatastrophen und Bedrohungen, in dem Moment immer nicht damit. Wir haben gleich gemerkt: Wir haben hier den Pool und das schöne Wetter, aber nebenan brennt der Hügel. Das war der Startschuss dieser Überlegungen zu den Gleichzeitigkeiten: Was man sich ausdenkt und was man plant - und was dann tatsächlich passiert.
Das Album schwankt inhaltlich zwischen Dystopie und Utopie. Welche Rolle spielt denn auch die Politik? Ihr lebt in Dresden, und Ihr sagt, Ihr nehmt immer viel Inspiration auch aus der Umgebung mit, in der Ihr lebt.
Kappenstein: Mehr als in Dresden kann man eigentlich kaum das Gefühl der politischen Umgebung in Deutschland zu sich nehmen. Wir sind da sehr gesegnet mit so einer extremen Politisierung und viel Groll und Wut bei vielen Menschen. Und gleichzeitig dachten wir, dass wir als Gesellschaft eigentlich schon viel weiter in der Entwicklung von neuen Gesellschaftsideen und von Offenheit sind. Wir sind bemüht, diese Rückschritte vor allem mit Kommunikation und mit der Möglichkeit der Musik wieder zum Thema zu machen.
Ihr kommt ursprünglich aus dem Jazz. Wie viel Jazz ist noch drin in Eurer Musik?
Schaefer: Wenn man das als Philosophie betrachtet, ist die ganze Musik durch Jazz, durch Improvisation entstanden.
Kappenstein: Jazz ist für mich eine krasse Live-Kunst: Die braucht eine Bühne, Live-Instrumente, und die braucht neben den Akteur*innen auch das Publikum. Das ist bei unseren Live-Konzerten stark der Fall, dass durch die Präsenz des Publikums, durch seine Reaktion und durch unsere Möglichkeit, spontan Dinge anders zu machen, etwas passiert, was am Abend vorher so nicht passiert ist.
Ihr liebt Experimente. Ich habe gelesen, dass Ihr auch gern mal auf Schrottplätzen unterwegs seid und guckt, was man da vielleicht noch als Instrument benutzen könnte. Was war bei "Lucky Dancer" das größte musikalische Experiment für Euch?
Kappenstein: Was wir noch nie hatten auf einem unserer Alben, ist ein echtes Streichorchester, und das haben wir uns jetzt mit dem Song "My Fist High" zum ersten Mal ermöglicht. Das war sehr aufregend. Die Musik ist erstmal mit dem Bayerischen Rundfunk Sinfonieorchester entwickelt worden, und wir waren nach den ersten Auftritten so erschlagen, im besten Sinne, dass wir wussten, wir wollen ein solches Arrangement mit auf die Platte nehmen. Also haben wir uns auf die Suche gemacht nach Streicher*innen, die uns da behilflich sein könnten. Das war ein krasser Gänsehaut-Moment für uns.
Der Song "Turn Back Time No More" verbindet uns beim NDR mit Euch, weil zum einen ein Flötist vom NDR Elbphilharmonie Orchester zu hören ist, und weil die NDR Kultur Doku "Inspired" Euch dabei begleitet hat, wie der Song damals entstanden ist. Worum geht es in dem Song?
Schaefer: Wir wurden bei diesem Format gefragt, ob wir, angeregt von einem Kunstwerk, eine Komposition schreiben würden. Wir wussten nicht, welches Bild es sein wird. Wir gingen ins Museum, und uns wurde Cranachs "Der Sündenfall" aus dem Jahre 1531 gezeigt, und wir wurden herausgefordert, etwas dazu zu machen. Was würden Adam und Eva denken, wenn die sich diese ganze Geschichte, die nach dem Biss in den Apfel passiert ist, angucken würden?
Wie war diese Erfahrung für Euch, zur Inspiration gezwungen zu werden? Ihr seid ja sonst recht frei, in dem, wie Ihr Musik macht.
Kappenstein: Das war auf jeden Fall etwas, was wir noch nie erlebt haben, sich mit anderem, die Kunst schaffen, über Kunst auszutauschen: Welche Bedeutung hat Kunst oder dieses Werk für unsere Gesellschaft, und wie können wir uns darin weiterentwickeln? Es war für uns sofort klar, dass wir das machen wollen. Es ist auf jeden Fall anders als sonst: Ich finde, man hört dem Song an, dass er besonders ist.
Das Gespräch führte Anna Novák.