Klassenassistenz als Lösung für Lehrermangel?
Ein Modell-Projekt aus Niedersachsen lässt aufhorchen. An der Grundschule in Wesendorf im Kreis Gifhorn hat jede Klasse eine feste Assistenz. Diese sind keine Ersatzlehrer*innen, aber sie halten den Lehrkräften den Rücken frei.
Zu Besuch in der 1a, in der Rabenklasse: Neben der Lehrerin Christine Melzer ist immer Natalie Dietrich dabei, die Klassenassistenz. Sie ist jeden Tag von 7 bis 12 Uhr da, egal, welche Lehrkraft gerade unterrichtet. Wie wertvoll so eine Helferin ist, zeigt sich schon frühmorgens. Ankommenszeit heißt das hier, vor dem eigentlichen Unterricht. Natalie Dietrich verteilt erste Arbeitsblätter oder hilft Kindern beim Ausziehen der Jacken: "Wenn sie Fragen haben, dann kann ich unterstützen und den Kindern ein bisschen erklären, was sie zu tun haben, und somit hat Frau Melzer auch für die anderen Sachen Zeit", berichtet Natalie Dietrich.
Assistentin unterstützt, Lehrerin unterrichtet
Während die Assistentin den Kindern beim Ankommen hilft, übt Lehrerin Christine Melzer mit den ersten Schülern schon Kopfrechnen: "Das ist dadurch möglich, dass Frau Dietrich sich um das Ankommen der Kinder kümmert, aufpasst, dass sie ihre Sachen finden, ihnen dabei hilft, in die Arbeit zu finden. Ich kann mich kümmern, dass ich mit den Kindern schon Rechenlose und Leselose mache, das sind die Sachen, die sie zuhause trainieren. Dadurch hab ich Zeit, jedem Kind gerecht zu werden", sagt Christine Melzer.
12 Assistent*innen an der Schule im Einsatz
Die Klassenassistentin Natalie Dietrich ist gelernte Einzelhandelskaufrau. Sie ist Mutter von drei Kindern und hat sich pädagogisch weitergebildet. Neben ihr sind 12 weitere Assistent*innen im Einsatz, auch in der Nachbarklasse bei den Bienen. Darüber freut sich auch Klassenlehrer Nils Dreher: "Ich würde ohne Assistenz mehr Schnürsenkel zumachen oder jemanden mit einem Kühlkissen versorgen, der sich das Bein wehgetan hat. Ich bin einfach unfassbar entlastet und kann mich auf das konzentrieren, wofür ich ausgebildet wurde - meinen Unterricht." Individuelle Förderung im laufenden Unterricht - möglich dank Klassenassistenz. Bezahlt werden die Helferinnen von einem Wohlfahrtsverband und einer Stiftung.
Keine Sonderrolle wie bei Inklusionsbetreuer*innen
Das Projekt in Wesendorf erinnert an die Schulbegleitung im Rahmen der Inklusion. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. Kinder, die Anspruch auf so eine Schulbegleitung haben, bringen ihre feste, eigene Betreuerin mit in die Schule. Das ist teuer - und die Kinder kriegen einen Stempel aufgedrückt. "Wenn man eine Schulbegleitung hat, hat man dieses Kind in einer Sonderrolle. Da ist einfach immer ein Erwachsener für dieses Kind da. Bei Frau Dietrich ist es so, dass sie für alle Kinder ansprechbar ist. Sie darf mit jedem Kind arbeiten", so Christine Melzer.
Modell für ganz Niedersachsen?
Kann die Klassenassistenz ein Modell für ganz Niedersachsen sein? Die Kultusministerin Julia Willie Hamburg findet das Projekt in Wesendorf interessant und will es genauer in den Blick nehmen. Konkreter wird sie allerdings bislang nicht. In Wesendorf sind sie überzeugt: Dank der Klassenassistenz ist der Unterricht entspannter. Die Lehrkräfte fühlen sich weniger gestresst und haben das Gefühl, allen Kindern gerecht zu werden.