"Großer Verlust": Das Ende des Hamburger Instituts für Sozialforschung
Ende nach mehr als 40 Jahren: Jan-Philipp Reemtsma hat angekündigt, dass das von ihm gegründete Institut für Sozialforschung in Hamburg 2028 seine Arbeit einstellt. Nicht nur Sozialwissenschaftler sprechen von einem Riesenverlust.
Es sind Altersgründe, die Jan-Philipp Reemtsma und Direktor Wolfgang Knöbl als Grund für die Schließung des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) nennen. Knöbl geht 2028 in den Ruhestand - einen Nachfolger für ihn werde es nicht geben, heißt es in der Presseerklärung des Instituts.
Betroffen von der Schließung sein werden auch der Verlag "Hamburger Edition" und die Hauszeitschrift "Mittelweg 36". Gegründet wurde der Wissenschaftsverlag 1994 für Publikationen aus den Bereichen Soziologie, Geschichte und Politikwissenschaften. Das Institut selbst betreibt schwerpunktmäßig Forschung zu "Gewalt im Zivilisationsprozess". Reemtsma ging es bei der Gründung vor allem um die Gewalt im 20. Jahrhundert, für die beispielhaft die Verbrechen des Nationalsozialismus stehen.
Wehrmachtsausstellung bekannteste Arbeit des Instituts
Das Hamburger Institut für Sozialforschung wird größtenteils aus Mitteln des Privatvermögens von Jan-Philipp Reemtsma finanziert, aus eigenem Betrieb heraus sei das nicht möglich, so Reemtsma und Knöbl. Auch die Arbeitsweise des HIS sei mit Ende der Arbeit von Knöbl nicht weiter möglich.
Das bekannteste Projekt des Instituts ist wohl die Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–44", die von 1995 bis 1999 zu sehen war. Eine zweite Ausstellung von 2001 bis 2004 trug den Namen "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944." Beide machten die Verbrechen der Wehrmacht in der Zeit des Nationalsozialismus, vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion, einer breiten Öffentlichkeit bekannt und lösten Kontroversen dazu aus.
Betroffene Reaktionen aus der Forschungswelt
Die angekündigte Schließung des HIS sorgt für große Betroffenheit nicht nur unter Sozialwissenschaftlern. Der Osnabrücker Sozialwissenschaftler Daniel Mertens meint, dass mit der Schließung in der deutschen Wissenschaftslandschaft eine Nische wegfalle, die sich nicht mit dem üblichen Universitätsalltag wie etwa Lehrdeputaten, überbordender Selbstverwaltung und Drittmittel-Druck herumschlagen muss und die sich auch über längere Zeiträume bestimmten Forschungsthemen widmen konnte. Robert Seyfert, Prof. für Soziologie an der Uni Kiel, nennt das HIS ein "Erfolgsprojekt". Ihn verwundere, dass man nicht versuche, das Institut, das nach 40 Jahren ein gewisses Renommee erreicht habe, "auf Dauer zu stellen". Das Institut habe den besten Ruf in der Forschungslandschaft.
Der Kieler Politische Soziologe Frank Stengel etwa spricht in den Sozialen Medien von einem "herben Schlag für die Sozialwissenschaften in Deutschland und den Wissenschaftsstandort Hamburg". Steffen Mau, Soziologe an der Humboldt-Universität in Berlin, spricht in den sozialen Medien von einem richtig "großflächigen Flurschaden." Der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze nennt die Pläne eine "schlechte Idee" und fordert eine institutionelle Reform des Instituts, um es weiterführen zu können. Eine Weiterführung unter geänderter Direktion lehnen Reemtsma und Knöbl aber ab, da sie die Unabhängigkeit des Instituts gefährdet sehen.