Die Kirchen bekommen Geld vom Staat: Warum - und wie lange noch?
Rund 600 Millionen Euro zahlen die Bundesländer jedes Jahr an die Kirchen. Ein Relikt aus der Vergangenheit, das laut Grundgesetzt abgelöst werden muss. Doch in dem Fall stünden den Kirchen hohe Einmalzahlungen zu - ein Dilemma.
Der rechtliche Anspruch auf diese sogenannten Staatsleistungen geht zum Teil bis ins 16. Jahrhundert zurück und beruft sich auf Enteignungen von Kirchengütern. Allerdings schreibt das Grundgesetz vor, diese Staatsleistungen abzulösen. Wie das gehen soll, muss geklärt werden. Die aktuelle Bundesregierung ist die erste, die sich an dieses Pflicht-Thema heranwagt. Dabei stößt sie - kaum überraschend - auf große Probleme.
Staatsleistungen heute nicht mehr vermittelbar
Der Bonner Professor für Staatstheorie Hans Markus Heimann spricht von einem Legitimationsproblem der Kirchen - zumal die Höhe der Leistungen trotz stark abnehmender Zahl an Kirchenmitgliedern eher noch gestiegen ist. "Die Staatsleistungen sind heute in ihrer Legitimität nicht mehr vermittelbar. Auch die historischen Gründe, die dem Ganzen zugrunde liegen, lassen heute nicht wirklich eine solche Legitimation nachvollziehbar erscheinen. Da wären die Kirchen gut beraten, wenn sie irgendwie zu einem Auslaufen der Leistungen mit dem Staat kommen, dass man das mit einer kleinen Aufstockung abgelten kann", sagt Heimann.
Das sieht auch der Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci so. Die Staatsleistungen müssten abgelöst werden. Der SPD-Politiker ist der Beauftragte seiner Fraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften. "Wir haben den klaren Verfassungsauftrag, der seit 100 Jahren missachtet worden ist. Das wird noch mal deutlich machen, dass es eine Trennung gibt von Kirche und Staat. Das ist auch keinem mehr zu vermitteln", meint Castellucci.
Ablösung der Zahlungen schon vor 100 Jahren gefordert
Schon die Weimarer Verfassung hatte vor mehr als 100 Jahren der Politik den Auftrag erteilt, diese jährlichen Staatsleistungen abzulösen. "Abzulösen" - das bedeutet allerdings, dass die Kirchen einen Anspruch haben auf eine hohe Kompensationszahlung, betont die Prälatin Anne Gidion von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): "Der Staat hat den Kirchen im Laufe der Geschichte mehrfach Ländereien entzogen und das ist etwas, was nicht verjährt. Es ist ein Besitz, der fehlt. Es ist nicht ein Anspruch, auf den man einfach so verzichten kann."
Anspruch auf hohe Kompensationen
Die Staatsleistungen sind für Kirchenhaushalte durchaus relevant: So machen sie rund zehn Prozent der Einnahmen im katholischen Bistum Erfurt aus und rund ein Fünftel des Haushaltes der evangelische Kirche Mitteldeutschlands. Wenn es zu einer Ablösung der Staatsleistungen kommen sollte, hätten die Kirchen - nach geltender Rechtsauffassung - Anspruch auf eine Kompensation von etlichen Milliarden.
Das sei auch notwendig, meint Anne Gidion, so etwas wie die Cheflobbyistin der evangelischen Kirche gegenüber der Bundespolitik: "Alles ist gut, was den Kirchen ermöglicht, Ersatzkapitalstöcke zu bilden, für die im Haushalt durch diese Summen bestrittenen Anteile", meint Gidion und fügt hinzu: "Wir werden nichts zustimmen, was Landeskirchen vom Tisch wischt, weil sie in die Insolvenz gehen müssen. Das kann man nicht wollen."
Einmalzahlungen zwischen zehn und 40 Milliarden Euro
Die Bundesregierung hat erste Gespräche mit den Kirchen und auch den Ländern über eine Ablösung geführt. Doch es hakt. Den Ländern, die die Zeche zahlen müssten, ist das alles zu kostspielig. Die Schätzungen über eine Einmalzahlung an die Kirchen gehen weit auseinander: Sie liegen zwischen zehn und 40 Milliarden Euro. "Am Ende ist es nicht so, dass man sich einigen muss. Wenn es keine Einigung geben kann, dann ist der Bund von der Verfassung gehalten, ein Grundsätzegesetz zu verabschieden und dann muss dieser Prozess auch anlaufen", beschreibt Castellucci die Rechtslage.
Der SPD-Abgeordnete sucht zwar das Gespräch mit den Kirchen und den Bundesländern, aber: "Die Einbindung bedeutet nicht, dass es Veto-Möglichkeiten gibt. Am Ende kann und wird der Deutsche Bundestag entscheiden", so Castellucci. Doch wahrscheinlich wird der Bundesrat einem solchen Gesetz zustimmen müssen. Und aufgrund der Milliarden Euro, die auf die Länder zukämen, wird der Bundesrat wohl kaum grünes Licht geben. Das würde bedeuten: Alles bleibt beim Alten - wie seit mehr als 200 Jahren.