Tanzprojekt an Brennpunkt-Schulen macht stark
Leistungsdruck spielt in unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle. Das bekommen auch schon die Jüngsten zu spüren. Wer nicht mit den anderen mithalten kann, weil er etwas nicht versteht, fühlt sich schnell abgehängt. Das hat Betreuerin Ajselj Bekir sehr schnell bei ihrer Arbeit mit Kindern gespürt. Sie fragte sich, wie man ihnen mehr Selbstbewusstsein einimpfen kann. Die Eingebung kam spontan in der Pause: Beim Hören von Musik fingen die Kinder sofort an zu tanzen - ihre Idee für das Projekt "Confidance" war geboren.
Etwa ein halbes Jahr planen, choreografieren und tanzen Kinder an drei Grundschulen in Hamburg im Rahmen des Bildungsprojekts "Confidance". Höhepunkt ist die große, jährliche Abschlussvorführung. Das Angebot richtet sich vor allem an Kinder, die in sozial benachteiligten Stadtteilen aufwachsen, in denen der Anteil derer, die in Armut aufwachsen, besonders hoch ist. Im Untertitel heißt das Projekt: "Tanz dich stark!". Gründerin Ajselj Bekir war sofort erfolgreich mit ihrer Idee. Sie startete 2015 mit fünf Kindern, wenig später waren bereits 75 tanzbegeisterte Kinder in ihrer Gruppe.
Auch nach dem Unterricht engagiert
Die katholische Schule in Altona-Nord ist eine von drei Confidance-Schulen. Jeden Freitagnachmittag treffen sich dort ungefähr 30 Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse zum Tanztraining. Ein langer Schultag liegt hinter ihnen und trotzdem sind sie am Nachmittag noch hellwach und aufmerksam dabei. "Wir tanzen hier sehr viele verschiedene Tänze, die sind cool und machen sehr viel Spaß. Jetzt gerade üben wir den Havanna-Tanz. Zuerst haben wir nur in den Pausen mit wenigen Kindern geübt, später wurden es dann immer mehr", erklärt eines der Kinder.
Selbstvertrauen und Mut durch Tanz
"Confidance" ist Teil der gemeinnützigen Bildungsinitiative Teach First, die beispielsweise von der Zeit-Stiftung unterstützt wird. Ziel ist es, mit sozialen Schulprojekten für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Wie das in diesem Fall funktioniert, erklärt Gründerin Bekir: "Es ist schön, wenn Kinder in diesem Tanzkurs Fähigkeiten zeigen können, die in den klassischen Fächern nicht zur Geltung kommen." Kinder, die auffällig schüchtern sind oder die von zu Hause kaum unterstützt werden oder keine guten schulischen Leistungen bringen, sollen durch das gemeinsame Tanzen lernen, sich mehr zuzutrauen.
Mehr als Deutsch und Mathe
Durch das Training würden viele mutiger und verantwortlicher, erklärt die Tanzpädagogin Carina Wendlandt, die auch an dem Projekt beteiligt ist. "Die meisten Kinder haben natürlich Mathe und Deutsch in der Schule, aber manche von ihnen sind einfach nicht sehr gut in diesen Fächern. Wenn sie aber sehr gut im Tanzen sind und dort ihre Bestätigung bekommen, können sie sich da zeigen", erklärt Wendlandt. Ihr sei es wichtig zu zeigen, dass das genauso relevant ist und nicht minderwertiger als die klassischen Fächer. Die Kinder wachsen an der Herausforderung, an einem Tanzprojekt teilzunehmen. Eine Abschlussaufführung außerhalb der Schule mit mehreren Hundert Zuschauern heißt auch, selbst bei Langeweile am Ball zu bleiben. Sie lernen, für andere mitzudenken und sich zu konzentrieren, auch wenn es beispielsweise draußen heiß ist. Die Entwicklung, so Wendlandt, sei phänomenal. Die Kinder seien über sich selbst hinausgewachsen. Sie seien selbstbewusst und offen mit großen Bewegungen.
Werte werden ganz nebenbei vermittelt
Auch die Atmosphäre im Kurs habe sich verändert. Man spüre die Hilfsbereitschaft der Älteren gegenüber den Jüngeren, beschreibt Ajselj Bekir. "Sie haben mehr Geduld, wenn die Jüngeren etwas länger brauchen und Tanzschritte gerne wieder vergessen. Gleichzeitig erleben wir aber auch, wie Kleinere so viel Selbstbewusstsein haben, dass sie die Großen korrigieren, wenn die sich vertanzen. Es ist eine schöne Entwicklung, dass sie sich auch trauen gegen jemanden, der mehrere Jahre älter ist, etwas zu sagen."
Auswertung durch Psychologen
"Confidance" ist nicht das erste Tanzprojekt an einer sogenannten Brennpunkt-Schule. Eine Besonderheit ist aber, dass es wissenschaftlich begleitet wird. Psychologen von der Universität Lübeck evaluieren das Projekt, um herauszufinden, ob das Tanzen nachhaltig wirkt und die Kinder durch das positive Feedback auch die schulischen Herausforderungen erfolgreicher meistern können.
Lehrer geben bereits gute Rückmeldungen und beschreiben, dass beteiligte Kinder sich häufiger melden und besser konzentrieren können. Für Ajselj Bekir ist der Erfolg des Tanztrainings jetzt schon ganz klar. Eine Persönlichkeit, die schon im Grundschulalter gestärkt werde, stelle auch die Weichen für eine erfolgreiche Schullaufbahn, erklärt sie. Sie ist überzeugt, dass aus dem Selbstvertrauen heraus nicht nur spannende Cheoreografien sondern auch Biografien entstehen.