"Improvisation und Kreativität sind gefragt"
Was bedeuten die Corona-Einschränkungen für Filmschaffende? Schauspieler Ulrich Matthes spricht im After Corona Club mit Anja Reschke über Preisverleihungen ohne Publikum, umgeschriebene Drehbücher und Quarantäne vor Kuss-Szenen. Bis Mitte März hat Matthes noch gedreht, dann wurden alle Filmproduktionen wegen der Corona-Krise gestoppt. Das Deutsche Theater in Berlin, zu dessen festem Ensemble er gehört, ist geschlossen, Lesungen wurden abgesagt.
Seit 2019 ist Ulrich Matthes auch Präsident der Deutschen Filmakademie. Die verleiht den höchstdotierten deutschen Filmpreis, die "Lola". Doch die glamouröse Veranstaltung fand diesmal ohne Publikum statt. Dass der Preis trotz der Corona-Pandemie übergeben werden konnte, war dem Akademiepräsidenten Matthes eine Herzensangelegenheit, "als Zeichen der Solidarität in der Branche". Denn die hat zu kämpfen wegen verschobener Produktionen, leeren Kinos und bedrohten Existenzen in der Filmwirtschaft.
"Kultur ist kein kleines Luxus-Nebenbei"
Ulrich Matthes versucht mit "flammenden Appellen", bewusst zu machen, dass es sich bei Kultur "nicht um die kleinen Luxus-Nebenbeis" handelt, die man zur Disposition stellen kann. "Zur Schulung unserer Empathie, unseres Mitgefühls sind Theater, Konzertsäle, Kinos, der Tanz, die kleinen Kabaretts ganz wesentlich", sagt Matthes, "man merkt es möglicherweise erst, wenn es sie nicht mehr gibt. Und dann ist der Aufschrei groß." Die Bemühungen bei der Regierung um finanzielle Unterstützung auch für Kultur tragen inzwischen Früchte.
Autokino statt Streamingangebote
Es gibt ein großes Bedürfnis nach Geschichten und Filmen, aber in der Corona-Zeit haben davon vor allem die Streamingdienste profitiert. Braucht man überhaupt noch Kinos, so die ketzerische Frage? Schauspieler Ulrich Matthes glaubt an die "analogen Orte", an das sinnliche Gemeinschaftserlebnis im Kino. Es sei "etwas anderes, ob man einen Film auf einer großen Kinoleinwand sieht und einen völlig anderen emotionalen Impact hat oder zu Hause, wo man bei Netflix auch mal auf die Stopptaste drücken kann, weil man Lust hat, sich doch lieber eine Käsestulle zu machen", so Matthes.
Weil die Leute das Gemeinschaftserlebnis vermissen, erleben derzeit Autokinos eine Renaissance. Das findet Mattes "lustig, großartig, wunderbar". Wir alle seien in unserer Kreativität aufgerufen, nicht larmoyant zu werden und Ideen zu haben. "Und dann hockt man da in seiner Karre und kann, wenn man Lust hat, noch nebenbei knutschen. Ist doch wunderbar, immer her damit!"
Kino mit Event-Charakter notwendig?
Muss das Kino künftig mehr Event-Charakter bieten, um den Streamingdiensten Paroli zu bieten? Brauchen wir mehr erlebnisorientierte Filme wie früher die "Rocky Horror Picture Show", wo Leute in Netzstrümpfen tanzten und Reis schmissen? Auch Ulrich Matthes sieht die Notwendigkeit, Kinos zu kommunikativeren Orten zu machen, um gegen Netflix und Co zu bestehen. Aber natürlich eignet sich nicht jeder Film: "Es gibt auch den kleinen, feinen südkoreanischen Arthouse-Film. Da kann man nicht in Netzstrümpfen Reis schmeißen und Lieder singen", sagt Matthes. Aber die Kinos könnten dafür sorgen, das die Leute nicht gleich in die nächstgelegene Pizzeria abwandern, sondern "dass es vielleicht kleine Gesprächsformate gibt, die vom Kino selber organisiert sind". Das Kino als Ort der Kommunikation.
Schauspielerei in Zeiten der Corona-Pandemie
Und wie wird die Zukunft für Schauspieler aussehen? Werden Drehbücher angepasst, Stoffe corona-bedingt verändert? Gibt es Liebesszenen nur noch mit Nasen-Mundschutz? In der Branche hört man, künftig sollen Drehbuchschreiber Über-60-Jährige rausschreiben. "Ich gehöre da auch dazu, weil ich 61 bin und das ist ein wirkliches Problem, wenn es so wäre", sagt Matthes. Kurios findet er auch, "dass man sich möglicherweise in Quarantäne begeben muss, fünf Tage lang, und vorher noch einen Test machen muss, wenn man irgendwen am Set zu küssen hat".
Für seine nächste Rolle wurde ein Drehbuch wegen der Pandemie bereits umgeschrieben. Es sollte ein Roadmovie werden. "Das sollte in halb Deutschland spielen und spielt jetzt ausschließlich in einem Haus", erzählt Matthes. Insgesamt schaut er optimistisch auf die Zukunft: "Improvisation und Kreativität sind gefragt." Was er nicht will: Das Coronavirus als Thema von Filmen, Romanen, Stücken, Kompositionen. Da drehe man durch, befürchtet er, denn bald sei man froh, alles hinter sich gelassen zu haben.
After Corona Club: Gesprächsformat mit Anja Reschke
Im After Corona Club spricht Anja Reschke mit Fachleuten aus Psychologie, Wirtschaft, Soziologie, Politik, Medizin und weiteren Wissenschaften. Der Debattierclub über unsere Zukunft. Diskutieren Sie mit! Übrigens: Den After Corona Club gibt es auch als Audio-Podcast.