Recherchieren am Rande der Legalität
Damit die Recherche ausschließlich beruflichen Pflichten dient, wie es das Gesetz fordert, mieteten die Redaktionen einen eigenen Raum in der Bundespressekonferenz in Berlin an, zu dem nur in das Projekt eingeweihte Zutritt hatten. Es gab diverse Sicherungsmechanismen, um Unbefugten einen Zutritt unmöglich zu machen. Im Raum selbst gab es einen eigenen Internetanschluss für das Projekt und eine Server-Infrastruktur, die nur für das Projekt aufgesetzt und betrieben wurde. Die Geräte wurden verschlüsselt und auch Daten, die heruntergeladen wurden, wurden unmittelbar nach dem Download verschlüsselt gespeichert. Selbst wenn Unbefugte in den Raum gelangt wären oder das System von außen gehackt hätten, wären sie nicht an die Inhalte gelangt. Die Panorama-Journalistinnen und -Journalisten profitierten dabei auch vom Schutz des Tor-Netzwerkes, welches anonymes Surfen ermöglicht.
"Herzstück" der Recherche waren Programme, welche ein Journalist und ein Informatiker nur für dieses Projekt entwickelten. Die Redaktion schrieb die Programme selbst, um sicherzustellen, dass sie ausschließlich das machten, was Redaktion und Justiziariat wollten. Dazu zählte auch, dass die Journalistinnen und Journalisten ihre Browser standardmäßig so konfigurierten, dass überhaupt keine Fotos und Videos geladen und angezeigt wurden. Erst wenn klar war, dass sich auf einer Website ausschließlich harmlose Alltagsfotos befanden und das NDR-Justiziariat zustimmte, wurden die Server für den großflächigen Download präpariert.
Festplatten vernichtet wie der britische Geheimdienst
Ziel der Recherche war es unter anderem, den Code von Facebook und Instagram in den Metadaten der Fotos zu finden, die Pädosexuelle auf einschlägigen Plattformen hochgeladen hatten. Dafür suchten die Journalistinnen und Journalisten im Quellcode der Fotos nach dem Code, ohne die Fotos anzusehen. Mittels Algorithmen verglichen die Journalistinnen und Journalisten außerdem Fotos verschiedener Plattformen, um zu erkennen, wo überall geklaute Fotos hochgeladen wurden. Im Ergebnis kam dabei unter anderem heraus, dass auf einer Plattform mindestens jedes vierte Foto von Facebook oder Instagram geklaut wurde, plus Dunkelziffer.
Als die Ergebnisse feststanden, wurden nicht mehr benötigte Daten umgehend vernichtet. Die Journalistinnen und Journalisten löschten dafür die Festplatten und zerstörten sie anschließend noch physisch. Die Redaktion wendete dabei Methoden an, mit denen der britische Geheimdienst 2013 den Guardian zwang, Festplatten zu zerstören, auf denen die Snowden-Leaks gespeichert waren. Selbst wenn die Panorama-Festplatten bei der Entsorgung also in falsche Hände geraten wären, wären sämtliche Daten darauf bereits unwiderruflich vernichtet gewesen.
Rechtsunsicherheit bei der "beruflichen Pflicht" bleibt
Panorama betrat mit der Recherche in Deutschland juristisches Neuland. Die Redaktion schöpfte die Möglichkeiten aus, die ihnen technisch und organisatorisch zur Verfügung standen, um die Rechtmäßigkeit der Arbeit zu garantieren. Ein Restrisiko bleibt indes, schlichtweg weil es in Deutschland für Journalistinnen und Journalisten ausgerechnet beim so viel diskutierten Thema Kindesmissbrauch keine Klarheit gibt, sich auf die Erfüllung "beruflicher Pflichten" berufen zu können. "Das ist in der Tat ein Versäumnis des Gesetzgebers", kritisiert Ulf Buermeyer, ehemaliger Strafrichter und Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte: "Es müsste klar sein, dass eine journalistische Veranlassung genügt, auch wenn der Umgang mit den Daten für die Presse keine 'Pflicht' ist."
Die Problematik mit der "beruflichen Pflicht" sorgt auch in anderen Bereichen für Rechtsunsicherheit bei journalistischen Recherchen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte legte gemeinsam mit investigativen Journalistinnen und Journalisten im Jahr 2016 Verfassungsbeschwerde gegen die sogenannte Datenhehlerei ein, in dem sich Journalistinnen und Journalisten ebenfalls auf ihre "Erfüllung rechtmäßiger beruflicher Pflichten" berufen müssen. Mit dem Gesetz wird kriminalisiert, wenn Menschen mit gestohlenen Daten umgehen. Dies kann für Journalistinnen und Journalisten und von ihnen herangezogene Expertinnen und Experten bei Recherchen jedoch zwingend notwendig sein, wenn sie von Informanten Daten zugespielt bekommen. Auch hier die Frage: Wann ist eine Datenhehlerei für Journalistinnen und Journalisten "pflichtgemäß"?
Medienpolitisch ist die Bundesregierung gefragt, sich zu positionieren: Nur wenn im Gesetz klar geregelt ist, was Medien bei ihrer Recherche dürfen und wann sie sich strafbar machen, ist freie journalistische Arbeit möglich.
- Teil 1: Handeln Journalistinnen und Journalisten aus "beruflicher Pflicht"?
- Teil 2: Schutz durch das Tor-Netzwerk