Recherchieren am Rande der Legalität
Kaum ein Thema berührt Menschen so wie der Missbrauch von Kindern und der Tausch von Fotos und Videos solcher Taten. Für Medien zum Thema zu arbeiten, ist heikel. Das ARD-Magazin Panorama und Strg_F (NDR/funk) recherchierten nun erstmals großflächig zum Thema – mit juristischen Risiken.
Disclaimer: Der Autor dieses Textes war Teil des Rechercheteams von Panorama und berichtet an dieser Stelle über die Risiken, die das Team bei der Arbeit hatte.
Wer nur die Kommentare liest, muss das Schlimmste befürchten, was auf dem Video zu sehen ist. "Ich würde sie gern zu meinen Sex-Sklaven machen", schreibt ein Nutzer im aktuell größten Forum, in dem Missbrauchsdarstellungen von Kindern getauscht werden. Das Video, auf das sich die User stürzen, ist an sich jedoch harmlos. Es zeigt zwei vielleicht zwölfjährige Jungs mit nacktem Oberkörper beim Spielen am Meer. Es stammt ursprünglich vom YouTube-Kanal der Brüder, wo die beiden regelmäßig Inhalte aus ihrem Leben bei YouTube hochladen. Mal filmen sie sich beim "Zocken" an der Spielekonsole, mal beim Versteckspiel im Garten. Ihre Eltern werden später den Journalisten sagen, immer darauf geachtet zu haben, was ihre Kinder ins Netz stellen – und sich niemals vorstellen konnten, dass die harmlosen Videos ihrer Kinder in solch‘ schaurigem Kontext kommentiert werden. Denn mehrere Aufnahmen der Jungs wurden aus dem YouTube-Kanal geklaut – und in einem "Kinderpornografie"-Forum hochgeladen.
Die allermeisten Menschen haben keine Idee davon, wie es in solchen "Kinderpornografie"-Foren aussieht und wofür sich Pädosexuelle im Detail interessieren. Was die Gesellschaft über Kinderpornografie weiß, erfährt sie von Behörden oder über die Medien. Doch für Journalistinnen und Journalisten ist es äußerst heikel, selbst zu diesem Thema zu recherchieren. Schon der bloße Aufruf eines Forums, in dem Bilder und Fotos von Kindesmissbrauch getauscht werden, ist im Normalfall strafbar. Wie können Medien unter diesen Verhältnissen arbeiten? Eine großangelegte Datenrecherche von Panorama hat unter hohen juristischen und technischen Standards nun erstmals aufgezeigt, was in Deutschland für Redaktionen möglich ist – und wo die Grenzen liegen.
Handeln Journalistinnen und Journalisten aus "beruflicher Pflicht"?
Kaum ein Bereich des Strafrechts ist in den vergangenen Jahren so verschärft worden wie Delikte zum Kindesmissbrauch und der Besitz von Fotos und Videos solcher Taten. Zuletzt hob die Bundesregierung unter dem Eindruck der Missbrauchsfälle von Lügde, Münster und Bergisch-Gladbach das Strafmaß für den Besitz solcher Aufnahmen spürbar an: Künftig drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis, wer sogenannte "kinderpornografische Inhalte" besitzt. Auch die Frage, was ein "kinderpornografischer Inhalt" ist, wurde verschärft: Seit einigen Jahren ist die Definition so weit gefasst, dass beispielsweise auch das Foto eines schlafenden Kindes "kinderpornografisch" ist, wenn es darauf in "aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung" zu sehen ist.
Die Botschaft an die Täterinnen und Täter ist unmissverständlich: Es gibt keine Ausreden mehr für Pädosexuelle, die sich an Kindern vergehen oder Aufnahmen davon besitzen. Ausnahmen gibt es vor allem für Ermittlungsbehörden, die solche Bilder und Videos natürlich ansehen müssen, um überhaupt ermitteln zu können. Insgesamt hat der Gesetzgeber jedoch den Personenkreis derjenigen, die legal solche Aufnahmen ansehen und besitzen dürfen, extrem einschränkt. Journalistisch arbeitende Medien werden im Gesetz nicht explizit genannt, stattdessen gibt es eine Ausnahme für Handlungen, die "dienstlichen oder beruflichen Pflichten" dienen.
Die juristische Fachliteratur vertritt überwiegend die Meinung, dass unter solche "beruflichen Pflichten" auch journalistische Recherche fallen können. Die gegenteilige Auffassung wäre auch paradox: Dann könnten ausgerechnet beim Thema Kindesmissbrauch, welches zweifelsfrei von überragendem öffentlichem Interesse ist, Journalistinnen und Journalisten per se nicht selbst recherchieren, sondern müssten immer wiedergeben, was staatliche Behörden ihnen sagen. Mit der Pressefreiheit wäre dies nicht vereinbar. Klar ist aber auch: Das Thema ist zu sensibel, als dass Medienschaffende sich aus beruflicher Neugier "mal eben" in solche Foren einloggen können. Wo also verläuft die Grenze zwischen Pressefreiheit und der nötigen Eingrenzung des Kreises derjenigen, die sich solches Material aus "beruflicher Pflicht" anschauen können müssen?
Heikles Terrain für journalistische Recherchen
Die Redaktionen Panorama und Strg-F haben gemeinsam mit dem Justitiariat des Norddeutschen Rundfunks und IT-Experten ein Konzept entwickelt, welches sich erstmals auf dieses für Medien heikle Terrain vorwagt. Mittels einer automatisierten Datenrecherche sollte geklärt werden, wie häufig Pädosexuelle die Social Media-Profile von Kindern und Eltern nutzen, um dort Fotos zu klauen. Jugendschutzverbände und Ermittlungsbehörden warnen seit Jahren, dass Fotos und Videos, die Pädosexuelle untereinander tauschen, aus öffentlichen Quellen stammt. Wie groß das Problem ist, war bisher jedoch weltweit unbekannt.
Panorama und Strg-F gelang es nun, einen Code zu finden, der in den Metadaten erhalten bleibt, wenn Pädosexuelle ihre Fotos bei Facebook und Instagram klauen und unverändert in den Kinderfoto-Foren hochladen. Dafür mussten die Recherchierenden die Fotos jedoch herunterladen und dann analysieren. Die Herausforderung dabei: Selbst wenn die Fotos meist eher harmlose Inhalte zeigen wie beispielsweise ein Kind beim Familienurlaub am Strand, werden sie durch die Täterinnen und Täter in einschlägigen ""Kinderpornografie"-Foren geteilt und entsprechend kommentiert. Ansatz der Recherche war es daher, sich eine technische und organisatorische Umgebung zu schaffen, um das Strafbarkeitsrisiko für die Journalistinnen und Journalisten auszuschließen und jeden Rechercheschritt nur in Abstimmung mit dem Justiziariat zu gehen.
- Teil 1: Handeln Journalistinnen und Journalisten aus "beruflicher Pflicht"?
- Teil 2: Schutz durch das Tor-Netzwerk