#Umweltsau: Aufgerieben am Jahresende
In einem Facebook-Clip des WDR sangen Mädchen des Kinderchors Dortmund über eine fiktive Oma, die nicht nur im Hühnerstall Motorrad fährt, sondern dabei "tausend Liter Super jeden Monat" verbraucht, mit "nem SUV beim Arzt" vorfährt, dabei "Opis überfährt", Billigfleisch isst und auf "zehn Kreuzfahrten" im Jahr geht. Die Conclusio: "Meine Oma ist ne alte Umweltsau." Die überzeichnete Darstellung der Kosten unseres Lebensstils sollten dem Chorleiter zufolge als Satire erkennbar sein.
Kritiker sahen dagegen unter anderem eine Instrumentalisierung der Kinder und eine Verunglimpfung der älteren Generation. Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag, Johannes Selle (CDU) sagte der BILD: "Hier wird einseitig und polemisch Politik betrieben. Das ist nicht der öffentlich-rechtliche Auftrag des WDR." NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) befand auf Twitter, das Video überschreite "Grenzen des Stil und des Respekts gegen über Älteren". Am Ende löschte der WDR das Video schließlich von der WDR-2-Facebookseite - und Intendant Tom Buhrow entschuldigte sich on air in einer Sondersendung.
"Spielerisches Vergnügen am Absurden"
Die Reaktionen waren für den Sender offenbar überraschend, angesichts eines Liedes, das in seiner ursprünglichen Form auf den Schlager "Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen" beruht - und sich keinesfalls durch Respekt vor den Altvorderen auszeichnet, deren Eigenheim man in Alkohol umsetzen will. Auch die bereits aus den 1930er Jahren stammende Umdichtung, bei der die Oma im Hühnerstall Motorrad fährt, zeichnet sich laut dem Deutschen Volksliedarchiv in Freibug durch ein "spielerisches Vergnügen am Absurden" aus und sei ein "virulentes Beispiel für Liedgut", das sich beständig verändere. Der Kinderchor bediente sich somit einer Vorlage, die durchaus seit ihrer Entstehung satirischen Zwecken dient.
Natürlich wollte der der Liedtext mit der Oma als "Umweltsau" provozieren. Wie man im vom WDR gelöschten, aber online anderweitig noch verfügbaren Video sehen kann, haben die Mädchen durchaus Freude an der gesungenen Grenzüberschreitung. Die Frage ist: War die Überzeichnung im Lied tatsächlich dazu angetan, dass sich alle Großmütter verunglimpft fühlen sollten? Oder steht die Oma pars pro toto für uns alle, die zwar wissen, dass der Klimawandel katastrophale Folgen haben wird, aber dennoch SUV fahren, täglich Billigfleisch essen und in den Urlaub fliegen?
Die Verletzlichkeit des Publikums
Provoziert haben auch zahlreiche Klassiker der deutschen Fernsehgeschichte: Könnten Figuren wie "Ekel Alfred" aus "Ein Herz und eine Seele", der Nachwende-Meckerer "Motzki", bestimmte Folgen der "Lindenstraße" oder anti-autoritäre Kinderfilme wie "Die Vorstadtkrokodile" in Zukunft überhaupt noch auf den Sender gehen? Die Offline-Proteste dagegen waren zu früheren Zeiten jedenfalls auch vorhanden - die Social-Media-Empörung heutiger Tage wäre sicher.
Wenn Intendant Buhrow sagt, die Aufgabe der Satire sei es, die "Mächtigen aufs Korn zu nehmen, aber nicht, um eine Generation pauschal vor den Kopf zu stoßen und die Gefühle von Menschen zu verletzen", dann ist dieser Wunsch für einen Programmverantwortlichen zwar nachvollziehbar, aber problematisch. Denn jedes kontroverse Format, ob Politikmagazin oder Satiresendung wird immer auch "die Gefühle von Menschen verletzen".
Der WDR ist der Haussender der Kölner und Düsseldorfer Karnevalsumzüge. Regelmäßig fühlen sich von den dortigen Darstellungen auch Menschen verletzt. Und wer sind hier die Mächtigen, die es aufs Korn zu nehmen gilt? Dass Lieder aus Kinderperspektive die "mächtigen" Erwachsenen und deren Fehlverhalten aufs Korn nehmen, ist keine Erfindung des Dortmunder Chors - ein Blick ins Repertoire des berühmten Berliner Grips-Theaters für Kinder genügt.
Die Öffentlich-Rechtlichen können es nicht allen recht machen
Derzeit scheint der öffentlich-rechtliche Rundfunk zerrieben zu werden zwischen seinem Auftrag, die gesamte Bandbreite gesellschaftlich vorhandener Meinungen und Positionen abzubilden und der gesellschaftlich stärker werdenden Polarisierung. Denn die unterschiedlichen gesellschaftlichen Formationen haben immer weniger Interesse die andere Seite überhaupt zu hören. Auf dieser Polarisierung basiert in den USA der Erfolg von Fox News auf der einen und MSNBC auf der anderen Seite: Sie bedienen nur noch ihre Klientel.
Wenn Tom Buhrow sagt, der WDR wolle zur "Versöhnung in der Gesellschaft" beitragen - und nicht zur Spaltung, übersieht er, dass auch seine jetzige Reaktion spaltet. Was ist mit den Kindern und deren Eltern, die sich freudig an dem Projekt beteiligt haben? Werden Sie nicht nolens volens geopfert, indem man sie tatsächlich als Instrumentalisierte für einen "Klimakrieg der Generationen" dastehen lässt? Wie fühlen sie sich, wenn sie sich an einem WDR-Projekt beteiligen, anschließend aber keine öffentliche Rückendeckung erhalten?
Selbst wenn es gelänge, verärgerte Zuschauergruppen zu besänftigen, so verprellt man mit der Reaktion diejenigen, die sich eigentlich an der Seite der Sender wähnen. Als ein Beispiel unter vielen fungiert der Blogger und Spiegel-Kolumnist Sacha Lobo, der die Reaktion des WDR auf Twitter folgendermaßen kommentierte:
Die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann, die ihrerseits bereits Opfer extrem diffamierender Angriffe auf Social Media geworden ist, beschrieb das Dilemma am Montag auf Twitter folgendermaßen:
Die Meinungsfreiheit der anderen
Im Kontext zahlreicher Debatten, die in diesem und den vergangenen Jahren zum Thema Meinungsfreiheit geführt wurden, erscheint die aktuelle Kritik mindestens ebenso mächtig wie die zahlreichen unter dem "Political Correctness"- Label geführten Debatten, die insbesondere von rechts als Bedrohung der freien Meinungsäußerung gesehen werden. So wurde die kürzliche Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Kabarettisten Uwe Steimle durch den MDR von vielen Diskursteilnehmern auf der rechten Seite als Fanal für die Einschränkung der Meinungsfreiheit angesehen. Angesichts von Laschets Kommentierung auf Twitter begrüßen nun wiederum diejenigen, die in der Regel am lautesten gegen den "Staatsfunk" zu Felde ziehen, ein Vorgehen, bei der eine Programmentscheidung am Ende mit dem Geschmack des Ministerpräsidenten korrespondiert.
Reaktionen auf eine "kranke" Gesellschaft
Man kann darüber streiten, was die Grenzen der Satire sind, ob es sich hier überhaupt um Satire handelt oder ob schlicht Geschmacksgrenzen überschritten wurden. Doch die Kritik geht vielfach über jedes zivile Maß hinaus: Intendant Buhrow, dessen Sender mit dem neuen Jahr auch den ARD-Vorsitz übernehmen wird verurteilte am Montag Morddrohungen gegen WDR-Mitarbeiter als und fragte, "wie krank" die Gesellschaft mittlerweile sei.
Doch wie reagiert man in Zukunft auf Kritik angesichts "kranker" Entwicklungen? Wenn eine Kultur in den Sendern Einzug hält, die jede Kontroverse und jedes Fettnäpfchen vermeiden will - und auf dem Weg dorthin Kinderlieder depubliziert - läuft der öffentlich-rechtliche Rundfunk Gefahr, am Ende in glattgebügelter Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Sein Auftrag, "Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung" zu sein, kann er dann nicht mehr erfüllen.