Investigation: Was tun, wenn Quellen stinken?
Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Für Journalisten eine besondere Herausforderung. Zumal heutzutage immer damit zu rechnen ist, dass ausländische Geheimdienste mitmischen wollen.
Die amerikanischen Wahlen 2016 waren für viele Journalisten ein einschneidendes Erlebnis. Zum ersten Mal kam heraus, dass ein ausländischer Geheimdienst Medien manipuliert hatte, um das Wahlergebnis zu beeinflussen. "Es war ein Schock", sagt Stephan Wels, Leiter des NDR-Investigativ-Ressorts, in der Rückschau. Und plötzlich stand die Frage im Raum: "Haben wir tatsächlich alle Sicherungsmechanismen eingezogen, die uns davor bewahren, dass wir am Schluss manipuliert werden?"
Wikileaks hatte kurz vor der Wahl Zehntausende Emails aus Hillary Clintons Wahlkampfteam veröffentlicht. Alle Medien - selbst New York Times und Washington Post - berichteten täglich. Holger Stark war damals Korrespondent des "Spiegel" in Washington. Ihn irritierte die Berichterstattung sehr. Jeden Tag habe Wikileaks neue Emails veröffentlicht - und "alle Journalistinnen und Journalisten stürzten sich auf diese selektive Auswahl von Mails", ohne zu hinterfragen, wer hier eigentlich "Regie" führe. Nachher fanden Forscher heraus, dass eine russische Hackertruppe namens Fancy Bear die Emails erbeutet und an Wikileaks weitergereicht hatte.
Misstrauen ist gewachsen
Investigative Journalisten blicken seitdem mit deutlich mehr Misstrauen auf ihre Informanten. Er ziehe "viele Erwägungen in Betracht", über die er früher nicht nachgedacht hätte, sagt Wels. "Das Misstrauen, Objekt zu werden von anderen Mächten, Geheimdiensten, Institutionen ist schon deutlich gewachsen." Besonders in Amerika: In diesem Herbst kurz vor den Wahlen sind viele Journalisten nervös, hat Holger Stark beobachtet, der für die ZEIT vom Wahlkampf berichtet hat: "Es war allen klar, dass es unter Umständen wieder so laufen kann, dass aus den Tiefen von irgendwo Informationen auftauchen, die womöglich authentisch sind, aber diesen Wahlkampf beeinflussen sollten."
Marty Baron, Chefredakteur der Washington Post, stellt wenige Wochen vor der Wahl sogar Regeln auf, wie man mit dubiosen Quellen jetzt umgehen solle. Die erste klingt fast trivial. Die Redaktionen sollten prüfen, ob das Material authentisch und relevant sei. Martin Knobbe, der beim Spiegel für Investigatives zuständig, liest es vor allem als Aufforderung, sich so viel Zeit zu nehmen, wie man irgend braucht: "Dass man wirklich genau prüft: rechtfertigt es das Material, jetzt wirklich veröffentlicht zu werden?"
Eine weitere Regel klingt ähnlich irritierend: Hätten sich Redaktionen für eine Berichterstattung entschieden, sollten sie der Öffentlichkeit auch mitteilen, was sie "über die Quelle der Information wissen und was nicht". Dabei scheuen die meisten Informanten die Öffentlichkeit. Knobbe versteht es so, dass die Journalisten die Enthüllung einordnen sollen: "Steht dieses Leak in einem möglicherweise größeren Zusammenhang? Besteht die Möglichkeit, dass uns hier bewusst nur Ausschnitte wiedergegeben werden, die vielleicht das gesamte Bild verzerren würden? Könnte es sein, dass gerade eine Fake News oder irgendeine andere Kampagne gerade im Gange ist und dieses Leak ein Teil davon ist?"
Gezielte Suche nach Kampagnen
Beim Spiegel haben sie extra ein Team zusammengestellt, dass im kommenden Jahr die Sozialen Netzwerke nach solchen Kampagnen absucht: Wer welche Themen setzt, Fake News verbreitet, Kampagnen fährt. Damit sie, "für diesen Fall, dass uns dann vielleicht auch Material mal zugespielt wird, etwas besser vorbereitet".
Im nächsten Herbst ist Bundestagswahl. Keiner weiß, welche Kampagnen dann welche Rolle spielen. Umso mehr sei Vorsicht geboten findet Wels und rät allen, jedes Material zu prüfen "so gut und so lang, wie es irgend geht". Sein Appell: "Versucht alles irgendwie in Erfahrung zu bringen, was an Begleitumständen wichtig ist und versucht dann am Ende in der Abwägung so fair und so konservativ zu agieren, dass Ihr Euch nicht angreifbar macht." Und wenn es dann noch irgendwelche Zweifel gebe, solle man es lieber lassen.