Botschaftsasyl: Wer belauschte Julian Assange?
Systematische Videoüberwachung, Mitschnitte von Gesprächen, Vermerke über Gäste und ausgespähte Telefone: Vertrauliche Dokumente, die NDR und WDR vorliegen, belegen, wie umfassend WikiLeaks-Gründer Julian Assange und dessen Besucher in der ecuadorianischen Botschaft in London ausgespäht wurden. Die E-Mails, Fotos, Ton- und Videoaufnahmen zeigen, wie über Jahre hinweg die Überwachungsmaßnahmen nach und nach ausgebaut wurden.
Zahlreiche Personen betroffen
Neben Videoaufnahmen aus dem Innenleben der diplomatischen Liegenschaft in London und Tonmitschnitten von vertraulichen Gesprächen erfassten Sicherheitsbedienstete offenbar Seriennummern von Mobiltelefonen und legten Vermerke über Gäste an.Dazu sollen sie unter anderem Pässe kopiert, elektronische Geräte zerlegt und versteckte Mikrofone im Botschaftsgebäude angebracht haben. Das gesammelte Material soll laut Aussagen von früheren Mitarbeitern auch Auftraggebern in den USA bereitgestellt worden sein - mutmaßlich einem Nachrichtendienst.
Betroffen von der Überwachung innerhalb der Botschaft waren neben Ärzten und Anwälten von Assange offenbar auch deutsche Journalisten, die den Gründer von WikiLeaks besucht haben. Unter den mutmaßlich betroffenen Journalisten befinden sich auch drei Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks. Material, das NDR und WDR vorliegt, zeigt, dass Pässe kopiert und Besuchsvermerke angefertigt wurden. Der NDR stellte Strafanzeige wegen des Verstoßes gegen datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Bestimmungen.
Spanische Sicherheitsfirma überwachte Botschaft
Assange lebte von 2012 bis April 2019 in der Botschaft Ecuadors in London. Für die Sicherheit innerhalb des Botschaftsgebäudes war bis zum Jahr 2018 das spanische Sicherheitsunternehmen Undercover Global - kurz: UC Global - verantwortlich, das von der ecuadorianischen Regierung beauftragt worden war, unter anderem, um Filmaufnahmen anzufertigen und Gäste zu überprüfen.
Frühere Mitarbeiter der Sicherheitsfirma UC Global, mit denen NDR und WDR sprechen konnten, werfen dem Unternehmen und seinem Geschäftsführer David Morales allerdings vor, die innerhalb der Botschaft gewonnen Erkenntnisse später auch an mutmaßlich nachrichtendienstliche Auftraggeber in den USA weitergeleitet zu haben.
"Wir arbeiten jetzt für die dunkle Seite"
In unternehmensinternen Emails, die NDR und WDR vorliegen, ist immer wieder die Rede davon, die Audioqualität der Tonmitschnitte zu verbessern. Wiederholt geht es auch um die Einrichtung eines sicheren Livestreams aus der Botschaft. UC Global weist die Vorwürfe der Mitarbeiter zurück und betont, das Unternehmen habe stets nur im Auftrag der Regierung von Ecuador gehandelt.
Laut früheren Mitarbeitern des spanischen Unternehmens, soll deren Chef, David Morales, nach einer Rückkehr aus den USA vor ihnen geprahlt haben: "Ab jetzt spielen wir in der 1. Liga. (…) Wir arbeiten jetzt für die dunkle Seite." Später soll Moralesbis zu zwei Mal monatlich in die USA gereist sein, um Datenträger mit Material aus der ecuadorianischen Botschaft abzuliefern. In einer Zeugenaussage gibt ein ehemaliger Sicherheitsmitarbeiter über seinen früheren Chef an: "David Morales antwortete, als ich ihn eindringlich fragte, wer seine 'amerikanischen Freunde'" seien, es sei 'der Geheimdienst der Vereinigten Staaten.'"
Im September 2017 bittet Morales einen engen Kreis von Mitarbeitern per Mail, "bitte nur sehr zurückhaltend über meinen Aufenthaltsort (besonders über meine Reisen in die USA) zu sprechen".
Wurden Deutsche gezielt überwacht?
In einer Mail vom 10. Dezember 2017 schreibt Morales während eines Aufenthaltes in den USA seinen Mitarbeitern: "Ich beschreibe kurz die Ziele, die wir erreichen müssen: Es gibt drei Profile mit hoher Priorität, die wir jederzeit kontrollieren müssen." Namentlich genannt werden in dieser Mail schließlich zwei deutsche Staatsbürger aus dem engsten Unterstützungskreis von Assange.
Hohe Priorität solle auch für "russische Staatsbürger" gelten. Morales schreibt weiter: "Sie haben uns Empfehlungen gegeben, die wir befolgen sollten." Wer genau mit den Auftraggebern gemeint ist, ist unklar. In der Mail heißt es, es gebe Probleme mit den Zugängen zum Material. Beigefügt ist der Mail eine englischsprachige Anweisung, die beschreibt, wie Mitarbeiter der Firma Zugriffsrechte auf einem ihrer Server verändern sollen.
Im Januar 2018 teilt Morales seinen Mitarbeitern schließlich mit, er müsse Probleme mit den "Streaming Connections" beheben. Dabei handelt es sich offenbar um die Leitungen für einen Fernzugriff auf das Überwachungsmaterial aus der ecuadorianischen Botschaft in London. In einer Mail heißt es, er brauche "einen Zugang für Ecuador, einen für uns und einen für X".
Sicherheitsfirma streitet ab, USA und Ecuador schweigen
Das spanische Sicherheitsunternehmen UC Global und dessen Anwälte weisen diese Anschuldigungen, über die zuerst die spanische Tageszeitung "El Pais" berichtet hatte, zurück. Im Gespräch mit NDR und WDR räumte ein Anwalt von UC Global zwar ein, dass das Unternehmen mit US-amerikanischen Nachrichtendiensten zusammenarbeite - allerdings nicht bei der Überwachung der ecuadorianischen Botschaft in London. Auch seien von UC Global keinerlei Audioaufnahmen innerhalb der Botschaft angefertigt worden. Das Unternehmen wirft umgekehrt Mitarbeitern von WikiLeaks vor, verdeckte Tonaufnahmen angefertigt und die Vorwürfe konstruiert zu haben.
Regierungsstellen in den USA und Ecuador wollten sich auf Anfrage nicht zu den Vorgängen äußern. Der US-Nachrichtendienst CIA ließ eine Anfrage unbeantwortet. Auch das US-Justizministerium und das FBI wollten den Vorgang nicht kommentieren. Ebenfalls unbeantwortet blieb eine Anfrage an die ecuadorianische Regierung.
Beeinflusst Überwachung Assange-Prozess?
Assanges Anwälte stellten wegen der Überwachungsmaßnahmen Strafanzeige in Spanien. Dort ermittelt die Justiz. Im September 2019 hatten Ermittler bereits Hausdurchsuchungen in Spanien durchgeführt und dabei unter anderem Festplatten, Waffen und Bargeld beschlagnahmt sowie UC-Global-Chef David Morales vorübergehend festgenommen.
Eine mögliche Spionage der USA innerhalb der Botschaft und die Überwachung der Gespräche von Assange mit seinen Anwälten könnten weitreichende Folgen haben. Assange sitzt derzeit in einem Londoner Gefängnis. Die USA wollen, dass Großbritannien ihn an sie ausliefert. Darüber muss ein britisches Gericht entscheiden. Die Richter könnten die Auslieferung von Assange verweigern, wenn sie zum dem Schluss kommen, dass den WikiLeaks-Gründer - etwa wegen der Überwachung seines Anwaltes - in den USA kein faires Verfahren erwarte. Die USA haben Assange in insgesamt 18 Punkten angeklagt, unter anderem wegen Spionage. Im Falle einer Auslieferung droht ihm dort eine lebenslange Haft.