DJU-Gewerkschafter Reichel erst beleidigt, dann angegriffen
Er ist vor Ort, um Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten zu dokumentieren, da wird er selbst Opfer einer gewalttätigen Attacke: Jörg Reichel, Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) wird am Sonntag am Rande einer nicht genehmigten Demonstration der Querdenker-Szene im Berliner Stadtteil Kreuzberg von zwei Teilnehmern angegriffen. Sie stürzen ihn von seinem Fahrrad und schlagen und treten auf den am Boden Liegenden weiter ein. Erst als Passanten einschreiten, lassen die Angreifer von ihm ab und fliehen. So berichtet es auch ein Fotograf, der mit Reichel die Demonstration begleitet hat.
Zielscheibe der Bewegung?
Gegenüber ZAPP schildert der Fotograf, der anonym bleiben möchte, dass die Angreifer Reichel offenbar das Handy entreißen wollten, mit dem dieser ein Foto von der Demo gemacht hatte. Mehrfach sei Reichel vor dem Angriff aus der Menge heraus als "alte Petze" beschimpft worden. Reichel berichtet auf Twitter seit langem über Angriffe gegen Medienschaffende bei Demonstrationen. Der Gewerkschafter ist aufgrund seiner Tätigkeit kein Unbekannter bei den "Querdenkern": Sein Name und Bilder von ihm kursieren etwa in Telegram-Gruppen der Bewegung. Ob der Angriff auf ihn gezielt oder spontan passierte, lässt sich nicht eindeutig sagen.
Reichel traumatisiert
Ein Sprecher der Polizei teilt auf Nachfrage mit, dass wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und versuchten Diebstahls Anzeige gegen Unbekannt erstattet wurde. Die Angreifer beschädigen Reichels Handy, er selbst muss mit Verletzungen an Schulter und Beinen im Krankenhaus behandelt werden.
Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der DJU, bestätigt gegenüber ZAPP, dass Jörg Reichel am Abend aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Er habe schwere Prellungen, es ginge ihm aber zumindest körperlich den Umständen entsprechend gut. Allerdings sei er von dem Vorfall psychisch traumatisiert und könne daher aktuell nicht selbst darüber sprechen. In einer Meldung teilte Hofmann am Sonntagabend mit: "Wir sind zutiefst bestürzt und stehen solidarisch an der Seite unseres Kollegen, der seit dem vergangenen Jahr unter großem persönlichen Einsatz die Kundgebungen der sogenannten Querdenker beobachtet und dort für die Medienschaffenden und die Pressefreiheit eintritt."
Polizei offenbar teilweise überfordert
Der Vorfall wirft auch die Frage nach der Rolle der Polizei auf. Diese hatte das illegale Versammlungsgeschehen nur an einigen zentralen Orten in Berlin eingehegt. Tagesspiegel-Reporter Julius Geiler, der gestern im Einsatz war, berichtet gegenüber ZAPP, wie die Demonstrierenden zum Teil stundenlang ohne Einschreiten der Polizei skandierend durch Berlin zogen. Die Polizei sei "teilweise überfordert" gewesen, so Geiler. Der Fotograf und Augenzeuge des Angriffs auf Jörg Reichel beschreibt, wie der Aufzug in Kreuzberg mit mehreren Hundert Teilnehmenden völlig unbegleitet von der Polizei war.
Ein Polizeisprecher bestätigt das nicht. Demnach sei "nicht bekannt", ob Beamte anwesend waren. Fest steht: Die Polizei ist nicht eingeschritten und konnte die Tatverdächtigen nicht festnehmen. Dabei sollte es nach all den Vorfällen des letzten Jahres nicht überraschen, dass von "Querdenken"-Demos ein besonderes Gewaltpotenzial vor allem gegenüber Medienschaffenden ausgeht.