Pressefreiheit: Feindbild Journalist
Kommentar von Kathrin Schmid
Es gibt ein neues Krisengebiet für Medienschaffende – es ist nicht mehr nur etwa Afghanistan oder Myanmar. Nicht der Überwachungsstaat China oder der Corona-Infektionsherd Brasilien.
Die neuartigen Hotspots liegen im Inland, an wechselnden Spielorten, meist in Innenstadtlage. Sie nennen sich "Querdenken"-Demonstrationen. Reporterinnen und Reporter treffen dort auf Menschen, die gerade ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen und dennoch erzählen, es herrsche längst eine Diktatur und man könne seine Meinung nicht mehr äußern.
Journalistinnen und Journalisten, die auf solchen Demonstrationen ihre Arbeit machen und die Anliegen der Protestierenden in ihrer Vielschichtigkeit darstellen wollen, gehen dafür auch noch ein hohes persönliches Risiko ein: Sie begeben sich unter Menschen, die häufig weder Abstände einhalten noch Maske tragen. Dazu kommt das Risiko, bespuckt, geschlagen, zu Boden geschubst und getreten zu werden.
Bereits Ende 2020 hat der Deutsche Presserat der Innenministerkonferenz einen Vorschlag für einen überarbeiten Verhaltenskodex zwischen Medien und Polizei übergeben. Die dringende Bitte darin: Wir brauchen neue Regeln, wir brauchen mehr Schutz.
Medienschaffende als Freiwild
Medienorganisationen und -gewerkschaften wiederholen derlei Appelle seither beinahe wöchentlich. Der ernüchternde status quo ist: Die Bundesländer prüfen, weiterhin. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht betont heute im Interview mit NDR Info: Bei Angriffen auf Journalisten müsse konsequent gehandelt werden, das müsste die Polizei generell mitdenken, wenn sie ihre Einsätze plant. Das, mit Verlaub, Frau Ministerin, ist nach einem Jahr des Radikalisierungsprozesses auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu wenig. Medienschaffende sind dort viel zu häufig Freiwild.
Das von Pegida gepflegte "Feindbild Journalist" hat sich über die selbsternannten "Querdenker" hinaus längst verbreitet - auch in anderen durchaus bürgerlichen Milieus und Gruppen. Regierung, Parteien, Institutionen und "die Medien" - alles wird dabei in einen Topf geschmissen und mit Verschwörungen angereichert.
Diese Verquickung zeigt aber auch: Politik und Polizei können in diesem journalistischen Krisengebiet eher nur den Schaden begrenzen, indem sie den Schutz der Pressefreiheit stärker durchsetzen. Gegen das "Feindbild Journalist" vorzugehen, ist aber eine gesellschaftliche Aufgabe. Journalistinnen und Journalisten müssen dabei lernen, mehr über ihre Arbeitsweise zu sprechen - und auch über Einschüchterungen, Behinderungen und Repressionen. Und zwar nicht nur dann, wenn etwa der heutige Welttag der Pressefreiheit dazu Anlass gibt.
Jede und jeder Einzelne kann in seinem Umfeld intervenieren. Wenn etwa irrtümlich von der "Systempresse" oder einer "Meinungsdiktatur" die Rede ist, sollte sich niemand aus gedanklicher Bequemlichkeit dahinter versammeln und aufstacheln lassen. Denn das führt in die Irre: Gerade wer möchte, dass die unterschiedlichsten Stimmen und Meinungen gehört werden, dass sie im öffentlichen Diskurs eine Rolle spielen - der braucht Pressefreiheit.