Mehr Schutz für die Pressefreiheit?
Nach vermehrten Angriffen auf Medienschaffende reagieren jetzt Polizei, Länder und Journalistenorganisationen.
Laut "Reporter ohne Grenzen" ist die Lage der Pressefreiheit in Deutschland schlechter geworden. "Aufgrund der vielen Übergriffe auf Corona-Demonstrationen mussten wir die Lage der Pressefreiheit in Deutschland von 'gut' auf nur noch 'zufriedenstellend' herabstufen", sagt Vorstandssprecher Michael Rediske in einer Erklärung. Diese negative Entwicklung bestätigt auch die Studie "Feindbild Journalist" des European Centre for Press Freedom. Demnach sind pandemiebezogene Demonstrationen wie von "Querdenken" aktuell der gefährlichste Arbeitsplatz für Journalist*innen. ZAPP berichtete.
Große Aufmerksamkeit erreichte ein Vorfall bei einer Querdenken-Bewegung in Stuttgart Anfang April: ARD-Reporter Thomas Denzel und sein Team mussten ihre Live-Schalte abbrechen, nachdem sie erst niedergebrüllt und dann mit einem Gegenstand, vermutlich einem Stein, beworfen wurden. "Der Hass, der Zorn, der Rechtsbruch etwa der Querdenker-Bewegung richtet sich dabei auch klar gegen eine freie, unabhängige Berichterstattung", sagte Baden-Württembergs stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl bei der Vorstellung eines Pressekodex der Polizei. Mit den neuen Standards soll die Polizei Baden-Württemberg künftig transparenter und verständlicher mit Medien umgehen – und zum Vorreiter für die Polizei anderer Länder werden. Bundesweit werden bereits Konsequenzen aus den Angriffen auf Journalist*innen gezogen. Eine länderübergreifende Arbeitsgruppe modifiziert die Verhaltensgrundsätze zwischen Polizei und Presse. Aber reicht das? Journalistenverbände fordern auch die Verlage und Sender auf, mehr für den Schutz ihrer Beschäftigten zu tun.
Polizei geht auf Medien zu
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat ZAPP mehrmals über die Pressefreiheit auf pandemiebezogenen Demos und die Radikalisierung gegenüber Journalist*innen berichtet. Tenor: die Pressefreiheit wurde zuletzt nur dürftig geschützt. ZAPP Autor Daniel Bouhs forderte Anfang des Jahres ein Handeln der Politik:
Ein erster Vorstoß kommt nun aus Baden-Württemberg. Das Innenministerium hat einen für die Polizei verbindlichen Pressekodex erarbeitet. Darin heißt es: "Sie (die Polizei, Anm. d. Red) ist sich dabei der Medien als wesentlicher Bestandteil des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses bewusst und unterstützt diese aktiv im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und der Gleichbehandlung." Mit sieben Richtlinien soll die Zusammenarbeit von Polizei und Medien verbessert werden – auch abseits von Demonstrationen. So will die Polizei Baden-Württemberg eine sachliche und faire Diskussion in den sozialen Netzwerken ermöglichen und Rassismus, Diskriminierung, Gewaltverherrlichung, Pornografie, Sexismus, Ausländerfeindlichkeit, Hass, Hetze, Beleidigungen und üble Nachrede strafrechtlich verfolgen.
Zu dem neuen Pressekodex zählt auch ein Diskriminierungsverbot. Die Nationalität von Täter*innen soll nicht mehr veröffentlicht werden, "wenn sie für das Verständnis des Sachverhalts nicht relevant ist. Das ist regelmäßig bei einfacher Kriminalität beziehungsweise Massendelikten und Verkehrsdelikten der Fall." Eine jahrelange Auswertung eines großen Datensatzes von Polizeipressemitteilungen durch Journalist*innen von NDR und BR zeigt: In der Berichterstattung über Kriminalität werden ausländische Nationalitäten deutlich öfter genannt als deutsche. Das ergibt ein verzerrtes Bild. Denn laut polizeilicher Kriminalstatistik sind rund zwei Drittel aller Tatverdächtigen Deutsche.
Journalistenverbände veröffentlichen Kodex für Medienhäuser
Der "Deutsche Journalisten-Verband" (DJV) begrüßt den Vorstoß aus Baden-Württemberg. "Die Vorkommnisse der letzten Monate erfordern einen Handlungsbedarf", sagt DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner und wünscht sich, dass weitere Bundesländer den Süddeutschen folgen werden. Dennoch gibt es an dem neuen Pressekodex auch Kritik. Zörner: "Der Begriff Pressekodex ist irreführend. Damit verbindet man den Pressekodex vom Deutschen Presserat." Besser fände er, wenn ausschließlich von publizistischen Grundsätzen der Polizei Baden-Württemberg gesprochen würde.
Der DJV hat ebenfalls einen Kodex veröffentlicht. Darin fordert der Verband die Verlage und Sender auf, "mehr für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten vor Gewalt und Bedrohung zu tun". Der Schutzkodex wurde von verschiedenen Beratungs- und Journalistenorganisationen, darunter auch "Reporter ohne Grenzen", "Ver.di" und "Neue deutsche Medienmacher*innen", erarbeitet. "Die besorgniserregende Zunahme der Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten bringt es mit sich, dass die Medienhäuser ihrer Verantwortung für die Kollegen gerecht werden müssen", sagt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall in einer Erklärung. Konkret: In jedem Medienunternehmen soll es eine feste Ansprechperson geben, an die sich Journalist*innen nach Übergriffen oder Drohungen wenden können, Redaktionen sollen Reporter*innen Begleitung durch Sicherheitspersonal anbieten, Medienhäuser sollen für psychologische und anwaltliche Unterstützung sorgen.
Überarbeitete Verhaltensgrundsätze für Polizei und Presse
Auf Bundesebene regeln Verhaltensgrundsätze für Polizei und Presse Rechte und Pflichten beider Seiten – und sollen ungehindertes Arbeiten ermöglichen. Aufgrund der jüngsten Entwicklung prüfen die Bundesländer nun eine Überarbeitung der knapp 30 Jahre alten Grundsätze. Bereits Ende vergangenen Jahres wurde eine länderübergreifende Arbeitsgruppe beauftragt einen Entwurf für eine Neufassung zu erarbeiten, wie Arbeitsgruppenleiter Thilo Cablitz am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Dieser werde laut Cablitz aktuell durch die weiteren Gremien der Länder geprüft. Nach einer möglichen Zustimmung will sich die Arbeitsgruppe mit dem Deutschen Presserat abstimmen. Eine Neugestaltung der Verhaltensgrundsätze wurde schon länger gefordert:
Die Kodexe der Polizei Baden-Württemberg und der Journalistenorganisationen gelten schon jetzt. Was sie bewirken, können sie aber erst in der Zukunft beweisen. "Querdenken"-Demos sind in Stuttgart derzeit verboten.