Panorama - die Reporter
Dienstag, 01. März 2016, 21:15 bis
21:45 Uhr
Donnerstag, 03. März 2016, 02:10 bis
02:45 Uhr
Das Hallenbad von Königswinter ist ein beschaulicher Ort. Die Wassertemperatur ist wohlig, die Menschen treffen sich gerne im "Nichtraucher-Bistro", morgens schwimmen die Rentner und nachmittags die Kinder. Seit Kurzem ziehen hier auch die Asylbewerber des Ortes ein paar Bahnen im Wasser. Doch es brauchte ein paar Anläufe, bis alles ordentlich geregelt war. "Die Menschen hatten zunächst keine Schwimmsachen, also sind die in Unterhosen dahin", sagt Heike Jüngling, Sozialdezernentin des Ortes. "Wir haben ihnen dann erklärt, wie ein deutsches Schwimmbad funktioniert. Das klappte auch. Aber das sind alles so Themen, an die man vorher gar nicht denkt."
Jüngling kümmert sich seit Monaten um die Asylbewerber ihrer Kleinstadt. Und fast jeden Tag hat sie mit Überraschungen zu kämpfen. Mal muss sie Putztrupps organisieren, mal fuchtelt ein Mann mit einem Taschenmesser in einer Unterkunft herum. Jüngling sucht für alles eine Lösung. "Also, die Themen sind viel größer geworden. Der Berg ist viel größer."
Es sind solche Geschichten, die zeigen, wie Deutschland mit der Wirklichkeit ringt. Die Kommunen kämpfen, während viele Bürger besorgt sind. Das Land kennt seit Monaten fast nur noch ein Thema.
Wütende Helfer - überforderte Kommunen
Auch Dirk Heldmaier ist ein Mensch, dessen Sicherheitsgefühl ins Wanken geraten ist. Er wohnt in einem kleinen Ort in Süddeutschland und vermeidet im Gespräch die einfachen Argumente. Seine Frau kommt aus Kamerun, hin und wieder hat sie sich um Flüchtlinge gekümmert. Jetzt ist er einen ungewöhnlichen Schritt gegangen: Er hat Anzeige gegen die Bundeskanzlerin erstattet, so wie 200 andere Bundesbürger auch. Der Zuzug der Asylbewerber sei aus dem Ruder gelaufen, man habe den Überblick verloren. "Was für Möglichkeiten hat man als Bürger?", fragt Heldmaier. "Ich möchte wieder Rechtssicherheit haben und ich möchte, dass Regeln gelten." Er fordert rechtliche Prüfungen, und selbst die UNO soll klare Vorgaben machen. Aber wird das die Situation klären?
Mit seinen Sorgen steht Heldmaier nicht alleine da. Einer neuen Umfrage zufolge, die Panorama in Auftrag gegeben hat, hat jeder zweite Deutsche Angst, dass zu viele Flüchtlinge ins Land kommen. Am meisten treibt die Menschen dabei die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt und ein möglicher Anstieg von Straftaten um. Doch es wäre falsch anzunehmen, dass das Land im Strudel von Sorgen versinkt. Denn ebenfalls knapp die Hälfte der Befragten gab an, eher frei von Ängsten zu sein. Zwei Drittel der Deutschen sind sich sicher, dass trotz der Flüchtlingskrise der deutsche Wohlstand gesichert ist. Und mehr als jeder zweite Deutsche glaubt an das Gelingen der Integration, wenn der Zuzug besser gesteuert wird. Die Wirklichkeit ist kompliziert.
Der Masterplan fehlt
Das spürt auch auch Wolfgang Frangenberg. Der 72-jährige Rentner kümmert sich mit Leidenschaft und einem großen Herzen um eine Gruppe syrischer Flüchtlinge. Er bringt ihnen Deutsch bei, regelt Behördengänge und veranstaltet Kochabende. Und trotzdem ist er ernüchtert. Denn das, was er jeden Tag erlebt, hat nichts mit dem "Wir schaffen das" der Kanzlerin zu tun. Die jungen Männer kommen oft zu spät, und keiner kann richtig Deutsch oder Englisch. Er hat Plakate mit Verben gemalt und Spiele organisiert, doch die liegen in der Ecke. Und auch für die Museen, in denen er den Syrern die Schätze deutscher Kultur zeigt, scheinen sie sich nicht besonders zu interessieren.
Das alles wäre nicht so schlimm, denn schließlich ist es schwer, sich für die Renaissance im Weserbergland zu begeistern, wenn Frau und Kinder noch im syrischen Bürgerkrieg leben. Doch dass ein Masterplan fehlt, das frustriert Frangenberg. "Ich glaube, da oben hat niemand richtig Ahnung, was hier unten bei uns geleistet wird. Ich arbeite wirklich gerne und auch viel. Aber mit den Ansprüchen der Politik ist das nicht kompatibel."
Allein auf Amrum
Auch Amrum ist ein Schauplatz deutscher Widersprüche. Die Insel ist schön. Es gibt einen Leuchtturm, der Strand leuchtet hell, und das Seegras biegt sich im Wind. Doch nicht weit von den Dünen entfernt gibt es auch ein paar Menschen, die sich fragen, wo sie hier eigentlich gelandet sind. Amrum hat 14 Flüchtlinge einquartiert. Sie sind dankbar für die Sicherheit, die ihnen dieser Ort ermöglicht. Aber haben sie hier wirklich eine Zukunft? Es gibt keine Arbeit, und die Ämter sind weit entfernt auf dem Festland. Selbst hier, auf der anderer Seite der Flüchtlingsfrage, wurden Erwartungen erschüttert.
Jawed kam aus dem afghanischen Talibangebiet hierher. Aber was Deutschland wirklich ist, hat ihm keiner erzählt. "Ich kennen hier niemanden, und die Menschen sagen immer 'Moin'", wundert sich der 24-Jährige. "Und ich habe gedacht, ich finde Arbeit. Aber das ist überhaupt nicht so."
Jawed will Deutschland wieder verlassen, eine Ausnahme. Fast alle anderen Flüchtlinge werden bleiben - und Teil der deutschen Wirklichkeit werden.
- Autor/in
- Jasmin Klofta
- Fabienne Hurst
- David Hohndorf
- Reporter/in
- Anja Reschke
- Redaktion
- Dietmar Schiffermüller
- Lutz Ackermann
- Schiffermueller, Dietmar