Streit um Pflegekammern
Unter den Pflegerinnen und Pflegern in Niedersachsen gibt es derzeit eigentlich nur ein Thema: Die neue Pflegekammer. Sie soll die rund 90.000 Kranken- und Altenpfleger im Land künftig gegenüber der Politik vertreten, aber auch beispielsweise Fortbildungsstandards und die Berufsordnung festlegen. Die einen wollen sie vorantreiben, die anderen wünschen sich die sofortige Abschaffung. Nicht nur in den Sozialen Netzwerken wird heftig gestritten.
Mitgliedsbeitrag an hohen Einkommen bemessen
Die Auseinandersetzung begann kurz vor Weihnachten, als zehntausende Pflegerinnen und Pfleger Post von der Pflegekammer bekamen. Darin wurden alle aufgefordert ihren Mitgliedsbeitrag für 2018 zu entrichten. Allerdings stand dort auch noch: "Im beiliegenden Regelbescheid wird der Beitrag für alle Mitglieder auf den Höchstbeitrag 2018 von 140 Euro festgesetzt. Das entspricht berufsbezogenen Einkünften von 70.000 Euro" pro Jahr. Wer wenig verdient habe, müsse umgehend seine Bezüge offenlegen. Da viele Pflegerinnen und Pfleger nicht ansatzweise so viel Geld verdienen, war die Aufregung groß. Mittlerweile hat sich die Präsidentin der Kammer, Sandra Mehmecke, mehrfach für das Schreiben entschuldigt und eine neue Beitragsordnung angekündigt: "Kurz vor Weihnachten Beitragsbescheide zu verschicken, war ebenfalls mehr als unglücklich und das werden wir so auch nie wieder machen."
Frust und Optimismus - die Kammer polarisiert
Vielen Kammergegnern geht es allerdings schon lange nicht mehr nur ums Geld. Der Frust kommt vor allem daher, dass alle examinierten Kranken- und Altenpfleger per Gesetz Mitglied der Kammer werden müssen. Die Gegner sprechen daher von einer "Zwangskammer", von der sie sich nicht vertreten fühlen. Einer der Gegner ist der Altenpfleger Niclas Melzer aus Stade. Er kann "nichts positives" an der Kammer finden. Sie wolle "die Qualität der Pflege verbessern, indem sie noch mehr Papierkram" schaffe, das bringe ihn "weg vom zu Pflegenden am Bett und noch mehr ins Büro." Niclas Melzer bemängelt, dass er in der Vergangenheit auch nicht ausreichend von der Kammer informiert worden wäre. Im Internet haben mittlerweile über 40.000 Menschen eine Petition zu Abschaffung der Pflegekammer unterschrieben. Wie viele davon in der Pflege arbeiten ist allerdings unklar.
Nancy Conrad, Krankenpflegerin aus dem Klinikum Braunschweig, kann das alles nicht verstehen. "Die Pflegekammer spricht ja für uns und nicht gegen uns." Sie verspricht sich viel von der neuen Selbstverwaltung. "Es wird langsam Zeit, aus der Opferrolle rauszukommen." Die Pflegerinnen und Pfleger müssten für ihre Sache gemeinsam einstehen. Die aktuelle Mobilisierung findet sie gut, nur "geht das in die falsche Richtung". Viele Kollegen wären schlicht nicht richtig informiert und würden sich in ihrem Protest von "starken Persönlichkeiten anstecken lassen."
"Bürokratisches Monster"
Dass jetzt tausende Pflegekräfte auf die Barrikaden gehen freut Kai Warneke dagegen sehr. Der Krankenpfleger leitet einen ambulanten Pflegedienst in Lüneburg und ist nach eigener Darstellung ein Kammergegner der ersten Stunde. Diese ist für ihn ein "bürokratisches Monster", das die Pflegerinnen und Pfleger nur noch zusätzlich kontrollieren soll. Viele Pflegekräfte arbeiteten sowieso schon für wenig Geld, am Rande ihrer Kräfte und würden nun nur noch zusätzlich zur Kasse gebeten. Bedenken, die er schon vor Jahren auf Veranstaltungen vorgebracht habe, wären einfach vom Tisch gewischt worden. Sollte die Kammer nicht wieder abgeschafft werden, sieht er schwarz. "Die einen werden aussteigen, die anderen werden resignieren und das über sich ergehen lassen." All das würde eher nicht zu einem Ende des aktuellen Pflegenotstands führen.
Viele Kammergegner bemängeln, dass man sie vorab nicht gefragt habe. Tatsächlich wurde in Niedersachsen 2012/13 eine repräsentative Umfrage unter 1.039 Pflegerinnen und Pflegern durchgeführt. Damals gaben 67 Prozent der Befragten an, dass Sie für den Aufbau einer Kammer wären. Allerdings kannten sich auch nur 31 Prozent davon gut mit dem Thema aus. In Hessen konnten dagegen im vergangenen Jahr 65.000 Pflegerinnen und Pfleger für oder gegen eine neue Kammer stimmen. Eine Mehrheit derjenigen, die an der Befragung teilnahmen, sprach sich gegen eine Kammer aus.
Kann die Kammer erfolgreich sein?
Pflegekammerpräsidentin Sandra Mehmecke zeigt Verständnis für den Ärger ihrer Kollegen. "Es hat sich über Jahre hinweg ein Frust angestaut über die Arbeitsbedingung und die Personalknappheit über ständig neue Aufgaben die dazu kommen und dann kommt so eine Situation wie die Beitragsbescheide kurz vor Weihnachten und das Fass ist übergelaufen." Sie will nun auf Veranstaltungen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Doch sie weiß auch "ein Teil der Kollegen und Kolleginnen werden wir nicht abholen können." Für Sandra Mehmecke steht allerdings fest: "Ich will mir nicht ausmalen was passiert wenn wir nicht endlich eine starke Vertretung in der Politik in Form von einer Kammer haben." Sie weiß aber auch, dass nur konkrete Erfolge der Kammer für die Pflegekräfte die Gemüter langfristig beruhigen werden.
Das Thema ist allerdings nicht nur auf Niedersachsen beschränkt. In Rheinland-Pfalz gibt es bereits eine Pflegekammer und auch in Schleswig-Holstein ist eine im Aufbau. Umfragen in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg dürften dafür sorgen, dass hier in naher Zukunft ähnliches passiert. In Hamburg lehnte vor Jahren eine Mehrheit der Pflegekräfte die Errichtung einer Pflegekammer ab.