Landwirtschaft im Moor: Klimaschutz statt Kühe?

Stand: 12.07.2023 06:52 Uhr

Aus trockengelegten Mooren entweichen klimaschädliche Treibhausgase. Deshalb müssen sie vernässt werden - für die Landwirtschaft ein Prozess wie der Kohleausstieg.

von Oda Lambrecht

Die Weiden von Landwirt Dirk Hanken liegen im Ipweger Moor im Norden Niedersachsens. Um auf den Flächen Milchkühe halten zu können, musste das Land trockengelegt werden. Sein Großvater hatte in den 1960er-Jahren die ersten Gräben mit dem Spaten ausgehoben.

Bis heute müssen Hankens Böden mit Hilfe eines Schöpfwerks entwässert werden, damit Kühe darauf laufen können und Schlepper nicht versinken. In ganz Deutschland sind mittlerweile mehr als neunzig Prozent der Moore trockengelegt worden. Doch diese Flächen sind heute eine riesige Herausforderung für den Klimaschutz.

Ein Moorgebiet in Schleswig-Holstein. © NDR
AUDIO: Kritik an Moorschutzstrategie der Bundesregierung (3 Min)

Moor-Emissionen: 53 Millionen Tonnen jährlich

"Wenn wir das Moor entwässern, haben wir höhere Klimagase", erklärt Milchviehhalter Hanken. Denn in dem Torf von Moorböden ist viel Kohlenstoff gespeichert. Der kommt durch das Entwässern mit Sauerstoff in Kontakt und gelangt so als klimaschädliches CO2 in die Atmosphäre. 53 Millionen Tonnen an Treibhausgasen entweichen in Deutschland pro Jahr aus Mooren. Das entspricht etwa sieben Prozent der gesamten Emissionen im Land.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen). © NDR
Umweltministerin Steffi Lemke möchte für mehr Klimaschutz sorgen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) möchte für mehr Klimaschutz sorgen und betont im Interview mit dem ARD Magazin Panorama, dass die trockengelegten Flächen wieder nasser werden müssten. Über Jahrzehnte habe man Landschaften entwässert, diesen Prozess wolle sie jetzt umkehren.

Lemke setzt auf Freiwilligkeit

Dabei setze sie auf Freiwilligkeit, erklärt Lemke, gesetzliche Vorgaben möchte sie nicht machen. Ihre Moorschutzstrategie sieht vor, die Emissionen aus Moorböden bis 2030 um fünf Millionen Tonnen jährlich zu reduzieren - also um zehn Prozent.

Das reiche nicht, kritisiert allerdings der Agrarforscher Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin: "Wir müssen die Ziele dringend anspruchsvoller und langfristiger formulieren." Wie mehrere andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordert er konsequenteren Klimaschutz und schnelleres Handeln. Außerdem müsse deutlich gemacht werden, dass nicht alles mit Freiwilligkeit gehen werde, so Grethe, schließlich habe sich Deutschland verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden.

Agrarforscher Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin © NDR
Harad Grethe mahnt, die Moorschutzstrategie genüge nicht.

Die Bundesumweltministerin entgegnet: "Mir ist wichtiger, jetzt loszulegen, als noch Jahre über Ziele zu diskutieren und die dann nicht einzuhalten." Sie stelle für das "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" vier Milliarden Euro zur Verfügung - so viel Geld habe es für solche Projekte noch nie gegeben.

Landwirt Dirk Hanken kann sich trotzdem nicht vorstellen, seine Flächen komplett zu vernässen. Denn dann wäre dort keine Weidehaltung mehr möglich, sagt er. Damit Landwirte in Zukunft auch auf nassen Böden Geld verdienen können, müssten neue nachhaltige Bewirtschaftungsformen geschaffen werden, heißt es in der Moorschutzstrategie der Bundesregierung.

Nachhaltige Dämmplatten aus Moorpflanzen

Dazu zählen Photovoltaikanlagen auf wiedervernässten Flächen oder der Anbau neuartiger Kulturen. In einem Pilotprojekt des Landes Niedersachsens werden zum Beispiel Anbaukonzepte für Moorpflanzen wie Rohrkolben erforscht, um daraus Dämmmaterialien für den Häuserbau zu entwickeln.

An der Jade Hochschule in Oldenburg lässt der Baustofftechnologe, Heinrich Wigger, bereits die ersten Dämmplatten aus Rohrkolben testen, um zu untersuchen, wie sie auf Belastung, verschiedene Temperaturen oder Feuchtigkeit reagieren.

Eine Moorweide bei Sonnenaufgang © NDR
Für die Landwirtschaft käme ein Veränderungprozess dem Kohleausstieg gleich.

Er ist davon überzeugt, dass solche nachhaltigen Dämmstoffe eine Zukunft haben, räumt aber auch ein, dass es bisher noch keinen Markt dafür gibt. Der Baubereich sei zunächst immer konservativ, der müsse überzeugt werden, so Wigger, außerdem müssten Maschinen zum Ernten der Rohrkolben erst noch entwickelt werden.

Genau deshalb kann sich Landwirt Dirk Hanken auch nicht vorstellen, seinen ganzen Betrieb umzustellen. Rohrkolben oder andere Nutzpflanzen aus dem Moor wie etwa Torfmoose sind für ihn keine Option. Er habe gerade erst in Gebäude investiert und die müsse er schließlich abbezahlen, erzählt Hanken.

Für die Landwirtschaft ist der Moorschutz also eine große Herausforderung. Die meisten Moorböden in Deutschland liegen in Niedersachsen. Das Land untersucht gerade in einer sogenannten Potenzialstudie, in welchen Moorgebieten wie viele Treibhausgase eingespart werden könnten. Manfred Tannen vom Landvolk Niedersachsen ist der Ansicht, dass die gesamte Dimension noch maßlos unterschätzt werde. Der Landwirt vergleicht den anstehenden Veränderungsprozess mit dem Kohleausstieg.

Nasse Moore speichern Kohlenstoff

Die Moorforscherin Bärbel Tiemeyer vom Thünen-Institut für Agrarklimaschutz kritisiert, dass bisher noch effektive Förderprogramme fehlten, die den Landwirtinnen und Landwirten ermöglichten, nass zu wirtschaften. Aus Klimaschutzsicht wäre es nämlich das Optimum, die Flächen so nass wie möglich zu machen, erklärt Tiemeyer, also die Wasserstände bis an die Geländeoberkante anzuheben. Denn nasse Moore könnten sogar Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufnehmen und bestenfalls langfristig speichern, so die Bodenkundlerin.

Deshalb fordert das Greifswald Moor Centrum - eine Kooperation der Universität Greifswald und verschiedenen Moorschutz-Einrichtungen - den konsequenten Schutz der Moore "drastisch zu beschleunigen". Dafür würden unter anderem auch die Wasserwirtschaft und Kommunen benötigt, heißt es in einem Papier der Moorschutzeinrichtung, Genehmigungsverfahren zur Vernässung müssten zudem vereinfacht, außerdem mehr Personal qualifiziert und beschäftigt werden.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 11.07.2023 | 21:15 Uhr

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