Sendedatum: 02.02.2016 21:15 Uhr

Angeworben im Netz der Dschihadisten

Das Internet spielt für die Radikalisierung von Jugendlichen eine große Rolle. Im Selbstversuch hat eine Panorama 3-Reporterin ausprobiert, wie schnell man in den Sog der Extremisten gerät. Zwei Wochen ist sie unterwegs in sozialen Netzwerken. Im Gespräch mit radikalen Islamisten. Sie will herausfinden, wie sich junge Menschen über das Internet radikalisieren. Wie genau läuft so etwas ab? Angefangen hat es mit einer Begegnung: Die Reporterin hat Dominic Schmitz getroffen, einen ehemaligen Salafisten.

Wie im Gefängnis hat er sich gefühlt, wie ein Roboter, der nur ausführt, was er gesagt bekommt. Er war Salafist. Der junge Mann aus Mönchengladbach wuchs in schwierigen Familienverhältnissen auf, wurde introvertiert, traurig. Sein Fachabitur brach er ab, lebte in den Tag hinein, sah keinen Sinn mehr im Leben.

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Dann kam er über einen Bekannten zum Glauben. Man sagte ihm, das sei der Islam, wie er vor 1.400 Jahren offenbart wurde. Dass es sich dabei um Salafismus, einer radikalen Strömung im Islam, handelt, war ihm nicht klar, sagt er heute. Endlich fand er Antworten - zum Beispiel auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. "Ich hatte endlich wieder eine Tagesstruktur, habe fünf Mal täglich gebetet, Brüder gefunden, die mich aufgenommen haben", erzählt  Dominic Schmitz. Er hat Kontakt zu den Salafisten-Predigern Pierre Vogel und Sven Lau. Er erzählt, dass er auf die Initiative von Sven Lau hin Videos über den Glauben für den YouTube-Kanal der Moschee erstellt.

Radikalisierung über das Internet

Dominic Schmitz ist in den sozialen Netzwerken auch selbst präsent, gründet seinen eigenen YouTube-Kanal. "Das Ziel war Missionierung. Es gab viele Klicks, daran haben wir den Erfolg fest gemacht", sagt er rückblickend.

Das Internet sei für die Radikalisierung von Jugendlichen sehr wichtig, sagt Götz Nordbruch von der Beratungsstelle ufuq.de: "Salafisten haben im Internet die Deutungshoheit erlangt. Sie prägen die Diskussion. Wenn Jugendliche Fragen zur Religion haben, ist es sehr einfach übers Internet nach Antworten zu suchen. Das Internet ist ein wichtiger Faktor für den Zugang in die Szene."

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Dominic Schmitz © Screenshot
5 Min

"Man ist eigentlich kein Mensch mehr"

Dominic Schmitz war Salafist. Mit Panorama 3 spricht er über den Islam und sein Leben in der Parallelgesellschaft. Er konnte sich dem Sog des Salafismus entziehen. 5 Min

Ein Sog, der sich ausbreitet

Das will ich ausprobieren. Ich erstelle mir unter falschem Namen einen Account bei Facebook. Orientiere mich dabei an dem, was mir Dominic Schmitz erzählt hat: Ich bin 18 Jahre alt, frage mich, warum es in der Welt so viel Krieg und Gewalt gibt - und suche einen Sinn in meinem Leben. Schnell komme ich auf die Facebook-Seite des Salafisten-Predigers Sven Lau und auf die Seite "Die wahre Religion", die auch die sogenannten Lies-Stände zur Koranverteilung organisieren. Es dauert nicht lange, und ich werde angeschrieben. Es beginnt mit einfachen Fragen zum Islam, die ich jederzeit stellen darf.

Ich habe den Eindruck, meine Chatpartner nehmen sich sehr viel Zeit für mich. Ich frage, warum:

A: Wieso hilfst Du mir?
B: Für beide von uns ist Nutzen und Belohnung dabei :)
A: Wie meinst du das?
B: Ich helfe dir und gleichzeitig belohnt mich Allah dafür. Du wirst belohnt, weil Du den Islam verstehst.

Ein Belohnungssystem, von dem mir auch Dominic Schmitz bei unserem Interview erzählt hat. Es sei seine Pflicht gewesen, andere Muslime oder Ungläubige zum - wie er dachte - "den wahren Islam" zu bringen. Die Belohnung dafür folgt im Paradies.  

Ich bekomme Anweisungen, wie ich mich zu verhüllen habe, Musik und Schminke sind ab sofort tabu. Immer wieder erhalte ich Freundschaftsanfragen: Von Frauen, die sich komplett verhüllen, teils mit Waffe darstellen und von Männern, die offenbar ihr Kämpferimage pflegen. Ich habe viele Fragen über den Alltag in Syrien. Meine Chatpartner beantworten sie mir gerne. Einer schreibt mir, die Raketen, die dort einschlagen, seien wie "Tickets ins Paradies". Der Tod in Syrien sei zumindest nicht sinnlos.

"Pflicht, nach Syrien zu kommen"

Eine junge Frau aus Deutschland, die gerade in Syrien ist, schreibt mir, der Alltag dort sei besser als in Deutschland. Sie könnte ihren Glauben leben, sich um Kinder kümmern und mit anpacken. Ein Mann, der aus Deutschland nach Syrien gegangen ist, schreibt mir: "Für jeden Muslim ist es Pflicht zu kommen". Er erklärt mir, dort seien viele deutschen Frauen, Sorgen brauche ich mir nicht zu machen. Und er sagt auch: "Wenn Du willst, schaffst Du es in einem Tag von Deutschland nach Syrien." Er erklärt mir die Route, warnt mich immer wieder, niemandem etwas zu erzählen.

B: Hier sind viele deutsche Frauen. Ich bringe Dich zu ihnen. Vertrau mir.
A: Wann kann es losgehen?
B: Wenn du bereit bist. Sag niemandem etwas.
A: Wie komme ich dahin?
B: Flugzeug, Bus, danach zu Fuß.
A: Wann kann es los gehen?
B: Schnell.

Ich frage mich, wenn ich wirklich 18 Jahre alt wäre, wie sehr hätte diese Ideologie mich dann in ihren Bann gezogen? Würde ich jetzt heimlich meinen Abschied vorbereiten?

Romantisierter Alltag

Nils Böckler © Screenshot
Wer einmal radikalisiert ist, der traut persönlichen Kontakten vor Ort mehr als den Medien, so der Wissenschaftler Nils Böckler.

Ich zeige dem Bielefelder Wissenschaftler Nils Böckler die Chatverläufe: "Das zeigt, wie wahnsinnig schnell man in bestimmte Kreise hereinkommen kann", sagt er. Die Freundesliste meiner Chatfigur sei sehr vielfältig, umfasse das politisch salafistische Spektrum, den dschihadistischen Bereich sowie Kontakte nach Syrien. Wer einmal radikalisiert sei, werde den persönlichen Kontakten vor Ort in Syrien mehr Glauben schenken als Berichten in den Medien. So werde der Alltag in Syrien romantisiert. Die persönliche Ansprache spiele dabei eine wichtige Rolle, erklärt Böckler. Der Rekrutierer funktioniere als Bezugsfigur, die sich interessiere, Sicherheit gebe, den Rücken stärke. "Er ist der soziale Beweis, der dem Jugendlichen sagt: Du kannst es auch schaffen. Ich habe es auch geschafft."

Dominic Schmitz konnte sich dem Sog des Salafismus entziehen. Während ein ehemals guter Freund von ihm nach Syrien gegangen ist, ist er aus der Szene ausgestiegen. Es war ein Lehrer, der ihm sagte, er sei Deutscher und Muslim, er sollte die Brücke zwischen beidem sein. Das ist nun seine Mission. Auf seinem YouTube-Kanal wirbt der junge Mann für Toleranz. Zwang im Glauben will er nicht mehr erleben.

 

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 02.02.2016 | 21:15 Uhr

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