Ein Sommer im Dschihad
"Ich habe das Bedürfnis, vieles zu erklären", sagt Ebrahim B. "Nicht nur in meiner Stadt, nicht nur in Deutschland und nicht nur in Niedersachsen, nicht nur in Europa, sondern weltweit möchte ich, dass die Wahrheit ankommt." Die Wahrheit über das, was er erlebt hat, die Wahrheit über den IS, den Terror des "Islamischen Staats". Ebrahim B. hat ihn erlebt. Er war in Syrien und im Irak und hat sich laut Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft freiwillig als Selbstmordattentäter gemeldet. Er ist einer von etwa 700 Deutschen, die sich bislang dem IS angeschlossen haben. Doch irgendwann hat es wohl Klick gemacht, und er ist umgekehrt.
Ebrahim B. sitzt jetzt in einem Gefängnis in Niedersachsen und will reden - in einem Interview, das er einem Team von Panorama, NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" gibt. Er ist der erste der etwa 260 deutschen IS-Rückkehrer, der offen vor einer Kamera spricht. Er will von der Brutalität und den Verbrechen des IS berichten, um andere zu warnen und vermutlich auch, um eine mildere Strafe zu bekommen. Ab August muss er sich vor Gericht verantworten. Er ist angeklagt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Deshalb antwortet er nicht auf jede Frage. Alles, was er in dem Interview sagt, kann im Zweifel im Prozess gegen ihn verwendet werden. Namen von Zeugen oder anderen Beschuldigten darf er nicht er nennen, das hat das Gericht verboten.
20 junge Männer aus Wolfsburg schließen sich dem IS an
Ebrahim B.s Reise zum Islamischen Staat beginnt im Jahr 2014. Bis dahin deutet nichts darauf hin. Er ist Mitte 20, hat eine Freundin, geht gern aus, feiert, raucht, trinkt Alkohol und ist irgendwann auch der SPD beigetreten. "Mit Religion hatten wir eigentlich nichts zu tun", sagt Ebrahim B. "Es sind lockere Typen gewesen", bestätigt Salim Zaizaa, ein Jugendfreund von Ebrahim B. - und von Ayoub B., der auch nach Syrien gegangen ist und der jetzt zusammen mit Ebrahim B. angeklagt wird. Mindestens 20 junge Männer aus Wolfsburg haben sich seit 2013 dem IS angeschlossen. Einige kämpfen noch dort, andere haben sich in Luft gesprengt.
Viele der Wolfsburger Dschihadisten stammen aus der tunesischen Gemeinde in der Stadt, auch Ebrahim B. Sein Vater ist - wie viele andere Tunesier - in den 70er Jahren nach Deutschland gezogen. Volkswagen brauchte dringend Arbeiter. Ebrahim B. war zunächst als Kleinkind mit seiner Mutter und seinen Geschwister nach Tunesien zurückkehrt. Er kam aber als Jugendlicher wieder nach Wolfsburg. In Deutschland machte er noch einen Hauptschul-Abschluss und eine Ausbildung zum Massage-Therapeuten.
Ein "falscher Prediger"
Warum sich Ebrahim B. und die anderen jungen Männer aus Wolfsburg auf einmal auf den Weg nach Syrien gemacht haben, hat zunächst kaum jemand verstanden. "Da muss ein Sinneswandel geschehen sein, der für mich persönlich schwer nachzuvollziehen ist, also eigentlich gar nicht", sagt Salim Zaizaa. Hinter dem Sinneswandel steckte offenbar ein Mann. Ebrahim B. nennt ihn heute den "falschen Prediger", damals bezeichnete er ihn als "Sheikh". Sein richtiger Name: Yassin Oussaifi. Er ist professioneller IS-Anwerber.
Oussaifi hat in Wolfsburg in der DITIB-Moschee am Hauptbahnhof eine Clique von Männer um sich geschart - alle Anfang bis Mitte 20. Ebrahim B. habe damals "familiäre Probleme" gehabt, erzählt er, Stress mit den Eltern seiner Freundin, die er bald heiraten wollte. Halt hat er offenbar bei den Islamisten gefunden. Ebrahim B. findet es anscheinend cool, dazu zu gehören, einen Bart zu tragen und auf ihre Veranstaltungen zu gehen. Er habe es als eine Art Mode empfunden, sagt er, wie früher, als alle einen Boxerschnitt trugen und Bushido auf dem Handy hatten.
In Syrien sollen teure Autos und vier Ehefrauen warten
Der "falsche Prediger" habe ihm und anderen alles Mögliche versprochen, wenn sie nach Syrien gingen, um sich dem IS anzuschließen - durchaus sehr weltliche Dinge: Man könne dort teure Autos fahren und heiraten - sogar bis zu vier Frauen. IS-Propaganda-Videos aus dem Internet verhießen Abenteuer, Pfadfinder-Romantik und Heldentum. Seit 2013 haben sich nach Angaben des Landeskriminalamts 20 junge Männer aus Wolfsburg auf den Weg nach Syrien gemacht und sich dem IS angeschlossen, mindestens sieben sind gestorben.
Ende Mai 2014 brechen Ebrahim B. und sein Freund Ayoub B. gemeinsam auf. Sie fahren von Wolfsburg nach Hannover, steigen dort in ein Flugzeug nach Samsun an der türkischen Schwarzmeerküste. Weiter geht es mit dem Bus. Über Umwege fahren sie nach Gaziantep im Süden des Landes. Hier werden sie von einem Mittelsmann des IS abgeholt und über die Grenze geschleust.
Ankunft im Auffanglager für ausländische Kämpfer
Auf der anderen Seite - nahe der Stadt Jarabulus - kommen Ebrahim B. und Ayoub B. in ein Auffanglager für ausländische Kämpfer. Hier müssen sie ihr Handy und ihren Pass abgeben, aber nicht nur das, erzählt Ebrahim B.: "Zahnbürste, Zahnpasta, Shampoo, alles was man hier in Deutschland hat oder in Europa, wird einem weggenommen. Geduscht wird nur Freitag in einem dreckigen See."
Eine Zeit lang haben Ebrahim B. und Ayoub B. noch zusammen verbracht. Alles Mögliche sei ihnen beigebracht worden, sagt Ayoub B. später, als er zurück ist in Deutschland. Wie sie mit einer Kalaschnikow umgehen, "wen wir töten dürfen". "Vor der Schlacht wurde uns gesagt, dass wir keine Geiseln nehmen dürfen," sagt Ayoub B. "Alle müssten abgeschlachtet werden. Es war eine richtige Gehirnwäsche." Dann hieß es: Ihr müsst euch entscheiden! Kämpfer oder Selbstmordattentäter. "Auf Deutsch und kurz gesagt, wenn du dahin kommst, du bist entweder tot oder tot", sagt Ebrahim B. heute.
Eine Leiche zum Abschrecken
Ayoub B. kommt in ein Trainingslager für Kämpfer im Norden Syriens. Laut Anklage soll er später gekämpft haben, er selbst bestreitet das. Ebrahim B. wird in den Irak gebracht - zusammen mit anderen Freiwilligen für Selbstmordanschläge. Dort wird er Zeuge einer Hinrichtung. Einer von ihnen sei beschuldigt worden, ein Spion zu sein, erzählt Ebrahim B. Er wurde weggebracht, dann kam so ein Richter." Kurz darauf habe er ein "Quietsch" gehört - ein Geräusch, ob eine Katze überfahren werde. "Und dann haben die seine Leiche zu uns ins Zimmer gebracht und seinen Kopf auf seine Leiche hingelegt, zum Abschrecken."
Mitte August flieht Ayoub B. nach seinen eigenen Angaben. Er schafft es in die Türkei. "Ich hatte Todesangst", schreibt er via Facebook kurz nach seiner Flucht an eine Freundin in Wolfsburg. Zurück in Deutschland stellt er sich direkt am Flughafen der Polizei und berichtet von seinen Erlebnissen. Sein Name erscheint kurz darauf im Internet auf einer angeblichen Todesliste des IS. "Ayoub B. aus Wolfsburg kämpfte erfolgreich in Irak. Doch kehrte er seinen hinterhältigen Rücken und ging zurück zur Jahiliyah" - zurück zu den Ungläubigen."
Zurück in Deutschland werden sie verhaftet
Ebrahim B. folgte ihm wenig später. Wie genau, unter welchen Umständen er dem IS entkommen konnte, ist unklar und wird einer der Punkte in der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Celle sein. Und es wird auch um die Frage gehen, ob er bereit war, einen Selbstmordanschlag zu begehen. Und ob er sich jetzt wirklich von der Ideologie des IS losgesagt hat.
Nach ihrer Flucht versuchen Ebrahim B. und Ayoub B. zunächst, in Wolfsburg zu leben wie zuvor. Gegen beide wird jedoch ermittelt. Im November 2014 wird Ayoub B. verhaftet, im Januar 2015 auch Ebrahim B. Seitdem sitzen sie in Untersuchungshaft.
"Gefängnis in Deutschland besser als Freiheit in Syrien"
In der Haft hat Ebrahim B. sich entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Gefängnis in Deutschland sei ihm viel lieber als Freiheit in Syrien, sagt Ebrahim B. heute. "Dann können Sie sich vorstellen, wie schrecklich das war." Er wolle sich deutlich vom IS distanzieren. Mit dem Islam habe das überhaupt nichts zu tun. "Gott sagt nicht, das Paradies ist in Syrien oder irgendwo im Islamischen Staat", so Ebrahim B. "Was ist mit dem Koranvers, wo Gott sagt: Wer unschuldige Menschen umbringt, wird bestraft, wie wenn er alle Menschen der Welt umgebracht hat. Was ist damit?"