Terrorgruppe IS: wie der Westen ein Monster schuf
Von "Krieg" spricht der französische Staatspräsident Hollande nach den Anschlägen in Paris. Von "Krieg" sprach auch George W. Bush nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 in New York. Die Rhetorik ähnelt sich, die Konsequenzen glücklicherweise noch nicht ganz. Während die französische Armee ihre Luftangriffe auf die IS-Hochburg Rakka zwar verstärkte, marschierte US-Präsident Bush mit seinen Alliierten in den Irak ein. Und eben jener Irak-Krieg und das Verhalten der Besatzer sind maßgeblich verantwortlich für den Aufstieg des sogenannten "Islamischen Staates".
In den Widerstand getrieben
So stürzten die Kriegsallianz nicht nur den irakischen Diktator Saddam Hussein, sondern entließ dann auch alle Mitglieder der "Baath"-Partei Husseins aus Militär, Verwaltung und Geheimdienst, entmachtete so das sunnitische Establishment im Irak. Dieses Dekret, das vor allem mit dem damaligen Vertreter der USA im Irak, Paul Bremer, in Verbindung gebracht wurde, trieb die Sunniten im Irak in den Widerstand.
"Paul Bremer hat in meinen Augen eine der katastrophalsten Fehlentscheidungen der ganzen Irak-Geschichte getroffen. Die irakische Armee beispielsweise komplett aufzulösen war ein Schwachsinn ohne Gleichen", sagt der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann im Panorama-Interview. Denn der Erlass kam quasi einem Berufsverbot gleich. Man hätte zumindest den "Mitläufern" des Regimes eine materielle Perspektive geben müssen, so Naumann.
"Feinde, die keine Feinde hätten werden müssen"
Doch nichts dergleichen geschah. Die USA installierten eine irakische Regierung, die von Schiiten dominiert wurde. Die USA verstärkten mit ihrer einseitigen Politik so die Konflikte zwischen den Religionsgemeinschaften.
"Man hat sich Feinde geschaffen, die am Anfang keine Feinde hätten werden müssen. Das waren Karriereoffiziere, das waren Leute, die vorher nie bei irgendwelchen dschihadistischen Gruppen waren. Und diese Leute haben nun nach Wegen gesucht, wie sie wieder an die Macht kommen können“, sagt Christoph Reuter, der für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" das Entstehen des IS beobachtet hat. Viele der ehemaligen Saddam-Leute seien im Widerstand gegen die Amerikaner gewesen, und einige dieser Leute seien "die Schöpfer des IS geworden".
Fanatischer Glaube und strategisches Kalkül
So legen Dokumente des Islamischen Staates den Schluss nahe, dass einflussreiche Ex-Geheimdienstleute von Saddam Hussein und religiöse Fanatiker ihre gemeinsame Zeit in US-Gefangenschaft nutzten, um Kontakte zu knüpfen und den IS quasi am Reißbrett zu planen. "Der fanatische Glaube der einen und das strategische Kalkül der anderen - diese Kombination der Gegensätze macht den Kern des IS-Erfolges aus", so Reuter.
Nach 2010 setzten diese Leute ihren Plan dann Schritt für Schritt in die Tat um. Der Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges bot ihnen dort einen Rückzugsraum, indem sie Stadt für Stadt unter ihre Kontrolle brachten und so ihre Machtbasis ausbauten. "Der IS spielt mit seinem Image. Dass da im Inneren Leute sitzen, die sich nur um Machtausdehnung und Kontrolle kümmern, das wird nie nach außen getragen, weil das hat ja keinen Sexappeal", erklärt Reuter weiter. "Was nach außen getragen wird, ist 'Wir sind Gottes Speerspitze im Kampf und wir werden die bestehende Ordnung stürzen!'“
Langfristige Strategie gefordert
Der Umgang mit dem IS benötigt eine langfristige Strategie für den Irak und Syrien, meint der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz. Polenz hatte jahrelang den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss. "Man muss eine klare politische Vorstellung haben, wie die Zukunft des Iraks und die Zukunft Syriens anschließend aussehen sollen und diese Vorstellung muss so konkret sein, das Syrer und Iraker sie erstrebenswert finden und sich auch aus diesem Grund im Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat engagieren". Das sei wichtig, denn Polenz glaubt nicht, dass Amerikaner, Franzosen und Russen mit Bodentruppen eingreifen würden.