Rettung von Afghanen: Wieder ein gebrochenes Versprechen
Mit dem Bundesaufnahmeprogramm sollen besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen ein Visum für Deutschland erhalten. Panorama offenbart erstmals Inhalte der "Sicherheitsprüfung."
Familie Mohammadi ist neuerdings eine Gefahr für Deutschland, zumindest laut deutscher Behörden. Dabei wollten wir sie eigentlich retten. Nach der Machtübernahme durch die Taliban vor drei Jahren fliehen sie aus Afghanistan in den Iran. Der Vater, Abdul Khaliq Mohammadi, war Militärstaatsanwalt in Herat, hatte sich für ein demokratisches Afghanistan eingesetzt. 2017 und 2018 überlebt er mehrere Attentate.
Damals verspricht die Bundesregierung, Menschen wie ihn in Sicherheit zu bringen. Mit dem Bundesaufnahmeprogramm sollten besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen ein Visum für Deutschland erhalten. Familie Mohammadi wird 2022 als schutzbedürftig anerkannt und erhält eine Aufnahmezusage. Sie hoffen, bald nach Deutschland ausreisen zu können. Von Teheran reisen sie nach Pakistan. "Alles, was wir hatten, haben wir verkauft, und die restliche Reise durch Schulden finanziert", erzählt Abdul Khaliq Mohammadi. In der deutschen Botschaft in Islamabad müssen sie dann überraschenderweise noch sogenannte "Sicherheitsinterviews" durchlaufen. Diese sind ein neues Instrument im Aufnahmeverfahren, 2023 in Deutschland eingeführt nach neu aufflammenden Debatten über islamistische Gefährder.
Einblicke in "Sicherheitsinterviews"
Panorama offenbart erstmals Inhalte der "Sicherheitsüberprüfung". Darin werden Fragen gestellt wie: "Dürfte Ihre Tochter in einem Bikini am Schwimmunterricht teilnehmen? Wie fänden Sie es, wenn Ihr Sohn in Deutschland einen Mann heiratet?"
Den Mohammadis werden unter anderem Fragen zu Sexualität oder politischer Einstellung gestellt. "Sie fragten, was mein Problem mit Israel ist", sagt der 19-jährige Sohn Shirzad. "Ich sagte, dass ich überhaupt kein Problem mit Israel habe." Auch seine Mutter, Shahbobo Mohammadi, wird befragt. "Sie fragten, ob mein Mann mich zwingt, ein Kopftuch zu tragen". Sie verneint. Der 21-Jährige Asef hat den Eindruck: "Sie haben die Fragen mehrmals wiederholt, um meine Antworten zu ändern".
Familie wird Aufnahmezusage entzogen - ohne Begründung
Familie Mohammadi wird nach den Sicherheitsinterviews die Aufnahmezusage entzogen. Ohne Begründung. Erst durch die Panorama-Recherche erfahren sie: das Bundesinnenministerium stuft den Familienvater als Sicherheitsrisiko für Deutschland ein. Überprüfen lässt sich das nicht, die Sicherheitsüberprüfungen sind Verschlusssache, die Akten der Familie Mohammadi somit nicht einmal für ihren Anwalt einsehbar. Das zuständige Bundesinnenministerium teilt auf Anfrage mit, keine Auskunft über Einzelfällen zu geben.
Nach Panorama-Recherchen gibt es keinen Anhaltspunkt für den Verdacht. Abdul Khaliq Mohammadi beteuert: "Ich habe 30 Jahre lang für Freiheit und Menschenrechte gedient." Mit der Entscheidung verlieren die Mohammadis nicht nur die Möglichkeit, je nach Deutschland einreisen zu können; sie können in Pakistan jederzeit nach Afghanistan abgeschoben werden.
Sachverständiger: Aufnahmeprogramm nicht mehr gewollt
Hans-Hermann Dube ist im Deutschen Bundestag Sachverständiger im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Afghanistan und war zwölf Jahre lang für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan zuständig. Das Programm sei von der Bundesregierung nicht mehr gewollt, sagt er. "Man versucht es zu diskreditieren, indem man feststellt, dass es ganz viele Gefährder gibt, die garantiert keine Gefährder sind." Die Bundesregierung habe ihr Versprechen gebrochen, sagt Dube. "Im internen Gespräch mit Beamten in verschiedenen Ministerien höre ich immer wieder heraus, dass die sich dafür schämen, wie wir uns derzeit den Afghanen gegenüber benehmen."
533 statt 20.000 Aufnahmen
In Pakistan warten mehr als 3.000 Afghaninnen und Afghanen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms auf ihre Ausreise. Bisher hat Deutschland nur zwei Prozent der versprochenen 20.000 Aufnahmen eingelöst: nur 533 sind in anderthalb Jahren eingereist. Bundesinnenministerin Nancy Faeser verweist zur Begründung für die geringen Aufnahmezahlen auf die Sicherheitsüberprüfungen. "Ich verantworte die Sicherheitslage in Deutschland, das ist natürlich prioritär weiterhin", sagt sie auf Nachfrage.
Auch Fatima Ahmadi war vor der Taliban-Herrschaft Regierungsbeamtin. Sie war für die Koordination von Hilfsorganisationen in der Provinz Bamyan zuständig. Auch sie erhält zunächst eine Aufnahmezusage. Doch nach der Sicherheitsüberprüfung wird sie zurückgenommen. "Sie haben mir überhaupt keinen Grund genannt. Ich dachte, ich würde niemals abgelehnt werden." Auf Anfrage nennt das Bundesinnenministerium keine Gründe für die Ablehnung. Elaha Hakim von der NGO "Kabul Luftbrücke" begleitet in Islamabad hunderte gefährdete Afghaninnen und Afghanen wie Fatima Ahmadi. Sie kritisiert das Vorgehen. "Eine Frau, die für die Regierung gearbeitet hat, die tapfer war. Man hat sie hierher bestellt und sie zerbrechen lassen."