Recht zu Sterben: Warum Harald Mayer klagt
Harald Mayer klagt für ein Recht auf Sterbehilfe. Bisher scheiterte eine Regulierung der Sterbehilfe im Bundestag.
Harald Mayer gegen die Bundesrepublik Deutschland: Der an Multiple Sklerose erkrankte Harald Mayer kämpft um das Sterbemittel seiner Wahl, Natrium-Pentobarbital. Dafür braucht er die Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Der 26. Oktober 2023 ist für ihn ein großer Tag. Er ist extra von Ramstein nach Leipzig gereist, wo das Bundesverwaltungsgericht über die Freigabe entscheiden sollte, darüber, ob er das tödliche Medikament Natrium-Pentobarbital bekommen darf. Das Urteil soll nun aber erst am 7. November verkündet werden.
Teilhabe am Leben?
Im Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht das weitgehende Verbot des assistierten Suizids für null und nichtig, da es gegen das Grundgesetz verstoße. Seitdem ist es erlaubt, sich beim Suizid von Dritten helfen zu lassen. Eine Regulierung der Sterbehilfe scheiterte bisher aber im Bundestag. Auch wegen dieser Unsicherheit lehnt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bisher die Herausgabe von Natrium-Pentobarbital ab. Der Streitpunkt: Viele Abgeordnete wollen statt des assistierten Suizids mehr Teilhabe am Leben bieten.
Doch es tut sich wenig. Seit mehr als fünf Jahren begleiten wir Harald Mayer - sein Leben ist voller Schikanen. Teilhaben im Alltag funktioniert in Deutschland kaum.
Kostenübernahme für Hilfsmittel schwierig
Seit langer Zeit kämpft er bei der Krankenkasse um einen neuen Rollstuhl, einen mit einer Hebefunktion. Dieser würde es ihm ermöglichen, sich auf Augenhöhe zu unterhalten, ihm ein Stück Normalität zurückgeben und damit auch ein würdigeres Leben bieten. Doch seine Krankenkasse (Techniker Krankenkasse, TK) lehnt einen solchen Rollstuhl mit Hubfunktion ab: "Das Bedürfnis, auf Augenhöhe zu kommunizieren, können wir nachvollziehen, es fällt aber nicht in unsere Leistungspflicht."
Auch ein Roboterarm, mit dem Harald Mayer selbstständig greifen oder einen Lichtschalter drücken, sich eigenständig kratzen könnte, wird abgelehnt. Der Roboterarm, schreibt die TK an Harald Mayer, biete ihm "keine Gebrauchsvorteile. Er verbessert Ihre selbstständige Lebensführung nicht. Sie benötigen weiterhin umfangreiche personelle Hilfe durch Ihre Assistenzkraft".
Harald Mayer ist konsterniert. Er ist querschnittsgelähmt. Wieso will man ihm nicht mehr Selbstständigkeit zugestehen?
Auch seine Assistenzkraft Vanessa Evren würde es massiv entlasten, wenn Harald Mayer gewisse Dinge alleine machen könnte. "Ich müsste nicht für jede Handbewegung rennen. Außerdem stehe ich nicht 24/7 neben ihm. Es kommt auch mal vor, dass ich für ihn einkaufen gehe. Wenn er dann selbst Schalter betätigen oder gar selbstständig einen Bissen essen könnte, wäre das eine Riesenerleichterung", bestätigt sie.
Irgendwann kann Vanessa nicht mehr mit ansehen, wie Harald in einem völlig veralteten und mit Schnüren zusammengeflickten Rollstuhl, der immer wieder zusammenbricht, sein Leben verbringen muss. Sie hat die Idee, ihm per Crowdfunding den gewünschten Rollstuhl zu finanzieren. Tatsächlich kommen 40.000 Euro zusammen. Harald Mayer bietet schließlich der Krankenkasse an, die Differenz zum höherwertigen Rollstuhl zu zahlen, doch selbst das wird ihm verwehrt. Immerhin, nach vielem Hin- und Her, finanziert die TK zumindest den Roboterarm. Das freut Harald Mayer einerseits. Andererseits kosten ihn solche Kämpfe Lebenszeit und Kraft.
Realitätsfremde Politik
Und schon kurz darauf bahnt sich neuer Ärger an. Zum Jahresende kündigt ihm sein Assistenzdienst. Nun ist es an Harald, sich neue Assistenten zu suchen. Das ist aufwändig für einen gelähmten Mann. Er schreibt dutzende Anfragen mit Mimik-Steuerung, also mit den Augen - jeden Buchstabe, jeden Punkt. Eine Kraftanstrengung.
"Ständig muss ich kämpfen. Das geht an die Substanz", klagt er. Derart verzweifelt haben wir ihn noch nicht erlebt. Der Stress ist Gift für ihn und verschlimmert seine Krankheit. Wenn Politiker im Rahmen der Debatte um die Sterbehilfe dann von "Teilhabe statt Hilfe zum assistierten Suizid" sprechen, wirkt das für ihn ziemlich weltfremd.
"Niemand darf sich in Suizid gedrängt fühlen, weil andere Hilfe nicht erreichbar ist. Bin ich im Alltag mit Krankheit gut versorgt? Kann ich mir das alles noch leisten? Das sind doch Fragen, die hinter Suizidgedanken stecken", sagte Lars Castellucci (SPD) im Juli, am Tag der Abstimmung der Gesetzentwürfe zur Regelung der Sterbehilfe.
Harald Mayer erwidert darauf: "Das ist total realitätsfremd. Die Politiker haben das doch in der Hand. Erst sollten sie sich um die Teilhabe kümmern, dann um die Sterbehilfe, wenn überhaupt!".
Die Zeit drängt
Der zermürbende Kampf um die nötigen Hilfsmittel im Alltag, die Teilhabe ermöglichen könnten, ist für Harald eine viel größere Herausforderung als der Kampf um das Sterbemittel. Es sei sogar so, dass die Schikanen im Alltag ihn immer wieder daran erinnerten, wo sein Kampf vor vielen Jahren begann, nämlich beim Kampf um die Sterbehilfe mit dem Mittel seiner Wahl, das Natrium-Pentobarbital.
Noch ist also nicht entschieden, wie Harald Mayer sein Leben zu Ende bringen darf. Doch er will keine Notlösung mit einem Medikamenten-Cocktail, der ihm nicht sicher erscheint. Er wird weiter um seinen letzten Willen kämpfen. Aber die Zeit drängt, es geht ihm immer schlechter. "Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht. Irgendwann geht mir die Luft aus."